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Gesang der Frauen an den Dichter

Von

Sieh, wie sich alles auftut: so sind wir;
denn wir sind nichts als solche Seligkeit.
Was Blut und Dunkel war in einem Tier,
das wuchs in uns zur Seele an und schreit

als Seele weiter. Und es schreit nach dir.
Du freilich nimmst es nur in dein Gesicht,
als sei es Landschaft: sanft und ohne Gier.
Und darum meinen wir, du bist es nicht,

nach dem es schreit. Und doch, bist du nicht der,
an den wir uns ganz ohne Rest verlören?
Und werden wir in irgendeinem mehr?

Mit uns geht das Unendliche vorbei.
Du aber sei, du Mund, daß wir es hören,
du aber, du Uns-Sagender: du sei.

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Gedicht: Gesang der Frauen an den Dichter von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gesang der Frauen an den Dichter“ von Rainer Maria Rilke ist eine eindringliche Reflexion über die Beziehung zwischen Dichtung, Seele und dem Wesen der Frauen. Es offenbart eine tiefe Sehnsucht nach Verständnis und Erfüllung, die von den Frauen an den Dichter herangetragen wird. Die erste Strophe etabliert die Natur der Frauen als Inbegriff von „Seligkeit“ und beschreibt, wie sich in ihnen das „Blut und Dunkel“ aus der Tierwelt zur Seele entwickelt hat, die nun nach dem Dichter schreit. Dies deutet auf eine innere Unruhe und ein Verlangen nach Ausdruck und Erlösung hin.

Die zweite Strophe thematisiert die Wahrnehmung des Dichters. Er wird als jemand dargestellt, der die Seele der Frauen wie eine „Landschaft“ betrachtet, „sanft und ohne Gier“. Diese distanzierte Haltung führt zu dem Gefühl der Frauen, dass der Dichter nicht derjenige ist, nach dem ihre Seele schreit. Sie zweifeln an seiner Fähigkeit, ihre tiefsten Gefühle zu erfassen und ihnen gerecht zu werden. Dennoch stellt die Frage „Und doch, bist du nicht der, / an den wir uns ganz ohne Rest verlören?“ eine ambivalente Haltung dar. Sie impliziert eine Sehnsucht nach vollkommener Hingabe und Verschmelzung, die möglicherweise in der Dichtung des Dichters erhofft wird.

In der dritten Strophe wird die Vergänglichkeit des Lebens angesprochen: „Mit uns geht das Unendliche vorbei.“ Dies betont die Endlichkeit der menschlichen Existenz und die Notwendigkeit, das Jetzt zu erfassen und zu bewahren. Die Frauen fordern den Dichter auf, „Mund“ und „Uns-Sagender“ zu sein, das heißt, ihre Gefühle und Erfahrungen in Worte zu fassen und so der Vergänglichkeit entgegenzuwirken. Sie erhoffen sich von ihm eine Form der Unsterblichkeit, indem er ihr Wesen und ihre Sehnsüchte in seinen Gedichten verewigt.

Insgesamt offenbart das Gedicht ein komplexes Beziehungsgeflecht. Es ist ein Appell an den Dichter, die Tiefe der weiblichen Seele zu verstehen und durch seine Kunst auszudrücken. Die Frauen suchen nach Identität, Ausdruck und der Möglichkeit, ihre Erfahrungen in einem größeren Kontext zu verorten. Rilke thematisiert hier die Suche nach Sinn, die Sehnsucht nach Verbindung und die Rolle der Kunst als Medium des Verständnisses und der Transformation. Das Gedicht ist somit eine Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz, der Rolle der Kunst und der ewigen Suche nach Verständnis und Erfüllung.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.