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Troglodytin

Von

Und ich muß durch Dunkelheiten
Wie durch große Wälder spähn,
Selbst die Schrecken mir bereiten,
Die sich meinen Stapfen blähn,
Brandgestruppte Elche, Bachen,
Grunzend um das Ferkelblut,
Wölfe, hungergrau, und Drachen
Mit den Waben gelber Glut.

Nackt, auf scharf bekrallten Zehen,
Rot von Schauern ausgewetzt,
Im Geröhr an Sumpf und Seen
Duck ich brünstig und gehetzt;
Natter schlüpft durch meine Hände,
Schnecke näßt mein Haar mit Schleim,
Meine buntgefärbte Lende
Wird der Kröte liebes Heim.

Meine Zähne reißen Beulen
Von verkrustet hartem Stamm;
Ein beglücktes, leises Heulen,
Brech ich hoch aus Ried und Schlamm,
Eh der Leib mit Bärenpranken
Um den irren Wandrer ringt,
Ihn, erglüht, an Brust und Flanken
Keuchend sich zu Willen zwingt.

Auf verdorrten schwarzen Kräutern
Lieg ich stumm im Höhlenhaus;
Schwer an trankgeschwellten Eutern
Hängen Kind und Fledermaus,
Da im Mondforst Auerhähne
Eine Hexe bellend neckt,
Die mit fahler Widdermähne
Goldne Kringelhörner deckt.

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Gedicht: Troglodytin von Gertrud Kolmar

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Troglodytin“ von Gertrud Kolmar beschreibt eine existenzielle Reise durch das Dunkel und die Wildnis, die sowohl physisch als auch metaphorisch die Konfrontation mit den dunklen, instinktiven Aspekten der menschlichen Natur symbolisiert. Zu Beginn des Gedichts wird die Sprecherin mit den „Dunkelheiten“ konfrontiert, die sie wie durch einen „großen Wald“ durchquert. Diese Dunkelheit ist nicht nur ein physisches Merkmal, sondern auch eine psychische und spirituelle Herausforderung, die die Sprecherin zwingt, sich den „Schrecken“ zu stellen, die ihren Weg begleiten. Die „brandgestruppten Elche“, „Bachen“, „Wölfe“ und „Drachen“ sind bedrohliche Kreaturen, die die tiefe Wildnis der menschlichen Psyche und ihrer Ängste symbolisieren.

In der zweiten Strophe wird das Bild der Sprecherin als eine fast mythische Gestalt hervorgehoben, die nackt und „auf scharf bekrallten Zehen“ durch die dunklen Sumpf- und Seegebiete schleicht. Ihre Bewegungen sind von „Schauern“ gezeichnet, und sie wird von einer inneren Notwendigkeit getrieben, sich diesen ungezähmten Elementen zu stellen. Das Bild der Natter, die durch ihre Hände schlüpft, und der Schnecke, die ihr Haar mit Schleim nässt, betont das unheimliche, fast ekelerregende Umfeld, das die Sprecherin durchquert. Ihre „buntgefärbte Lende“ wird zur „Kröte liebes Heim“, was auf die Verwandlung und das Aufnehmen von Elementen der Natur hinweist, die in ihrer Widersprüchlichkeit sowohl abstoßend als auch lebensspendend wirken.

In der dritten Strophe wird das Bild des Kämpfens und Überlebens intensiviert, als die Sprecherin ihre „Zähne“ in den „verkrusteten Stamm“ schlägt, was eine aggressive und verzweifelte Handlung ist. Das „leise Heulen“ scheint ein Ausdruck von Erleichterung oder Erlösung inmitten des Chaos und der Gefahr zu sein. Der „Bärenpranken“ greift schließlich nach der Sprecherin, was auf den unaufhaltsamen, körperlichen Kampf hinweist, in dem sie sich befindet. Der „irren Wandrer“ wird von der „Bärenpranke“ überwältigt, was den Triumph der wilden, ungezähmten Natur über das Zivilisierte symbolisiert.

Die letzte Strophe bringt das Gedicht in eine nahezu traumartige und mystische Ebene. Die Sprecherin liegt auf „verdorrten schwarzen Kräutern“ in einem „Höhlenhaus“, wo „Kind und Fledermaus“ an den „trankgeschwellten Eutern“ hängen. Das Bild ist sowohl verletzlich als auch grotesk, ein Zustand zwischen Leben und Tod, zwischen Geborgenheit und Chaos. Die „Auerhähne“ im „Mondforst“, die eine „Hexe“ necken, die mit einer „fahler Widdermähne“ ausgestattet ist, verstärken das Gefühl der Magie und des Unheimlichen. Diese düsteren und surrealen Bilder deuten auf eine Zwischenwelt hin, in der die Grenze zwischen Leben und Tod, Mensch und Natur verschwimmt.

Kolmar schafft in „Troglodytin“ eine wilde, chaotische Welt, in der die Sprecherin durch ihre Ängste und Instinkte navigiert und dabei eine Konfrontation mit den primitiven, dunklen Kräften des Lebens eingeht. Das Gedicht entfaltet sich als eine Reise in die Tiefen des Selbst, in denen die Sprecherin sowohl Teil der Natur als auch von ihr übermannt wird. Die Mischung aus Symbolik, Horror und Naturverbundenheit zieht die Leser in eine Welt, in der die gewohnte Ordnung von Zivilisation und Moral in den Hintergrund tritt und die ursprünglichen, oft verstörenden Kräfte des Lebens in den Vordergrund treten.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.