Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , ,

Gleichnis

Von

Der Flieder neigt sich welk in zarter Trauer;
Stolz glüht der Rotdorn im Gewitterschauer.

Er lächelt unter tausend blut’gen Wunden.
So ist die Lieb‘, die du bei mir gefunden.

Sie beugte sanft sich dir wie weißer Flieder,
Schaut jetzt wie Rotdorn flammend auf dich nieder.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Gleichnis von Gertrud Kolmar

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gleichnis“ von Gertrud Kolmar ist eine kurze, präzise und eindrucksvolle Metapher für die Wandlung der Liebe. In nur drei Zweizeilern wird eine tiefgreifende emotionale Entwicklung geschildert – von sanfter Hingabe hin zu stolzer, vielleicht verletzter Leidenschaft. Kolmar nutzt die Sprache der Natur, um seelische Zustände zu spiegeln, und schafft mit Flieder und Rotdorn zwei gegensätzliche, aber miteinander verbundene Bilder für Liebeserfahrung.

Der Flieder steht dabei für die ursprüngliche, zarte Form der Liebe. Seine „welke“, „traurige“ Neigung deutet auf Hingabe, Melancholie und vielleicht auch auf das Vergehen eines sanften Gefühls. Der Flieder verbeugt sich – eine Geste der Demut und Sanftheit, die das lyrische Ich mit seiner einstigen Liebe verbindet.

Demgegenüber steht der Rotdorn, der „stolz glüht“ und „lächelt unter tausend blut’gen Wunden“. Dieses Bild ist ambivalent: einerseits schön und selbstbewusst, andererseits schmerzhaft und wehrhaft. Der Rotdorn symbolisiert eine Liebe, die durch Verletzung gegangen ist und dennoch ihre Würde bewahrt. Das „Lächeln“ trotz der Wunden verweist auf innere Stärke, auf eine Liebe, die nicht vergeht, sondern sich wandelt – zu etwas Stolzem, Unbeugsamem.

Im letzten Vers wird das lyrische Ich direkt angesprochen: Die einst sanfte Liebe blickt nun als Rotdorn auf den Geliebten „flammend“ zurück. Was einst sanfte Neigung war, ist nun glühender Blick. Kolmar bringt damit die emotionale Spannung zwischen Verletzlichkeit und Selbstbehauptung auf den Punkt. Die Liebe hat sich verändert, aber nicht erloschen – sie ist nun stärker, schärfer, aufrecht.

„Gleichnis“ ist ein feines, aber intensives Gedicht über weibliche Selbstbehauptung in der Liebe. Es zeigt, wie emotionale Verletzungen nicht zur Zerstörung, sondern zur Verwandlung führen können – zu einer neuen Form der Stärke, die Schönheit und Schmerz in sich vereint.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.