Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , ,

Die Fahrende

Von

Alle Eisenbahnen dampfen in meine Hände,
Alle großen Häfen schaukeln Schiffe für mich,
Alle Wanderstraßen stürzen fort ins Gelände,
Nehmen Abschied hier; denn am andern Ende,
Fröhlich sie zu grüßen, lächelnd stehe ich.

Könnt ich einen Zipfel dieser Welt erst packen,
Fänd ich auch die drei andern, knotete das Tuch,
Hängt es auf einen Stecken, trügs an meinem Nacken,
Drin die Erdkugel mit geröteten Backen,
Mit den braunen Kernen und Kalvillgeruch.

Schwere eherne Gitter rasseln fern meinen Namen,
Meine Schritte bespitzelt lauernd ein buckliges Haus;
Weit verirrte Bilder kehren rück in den Rahmen,
Und des Blinden Sehnsucht und die Wünsche des Lahmen
Schöpft mein Reisebericht, trinke ich durstig aus.

Nackte, kämpfende Arme pflüg ich durch tiefe Seen,
In mein leuchtendes Auge zieh ich den Himmel ein.
Irgendwann wird es Zeit, still am Weiser zu stehen,
Schmalen Vorrat zu sichten, zögernd heimzugehen,
Nichts als Sand in den Schuhen Kommender zu sein.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Fahrende von Gertrud Kolmar

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Fahrende“ von Gertrud Kolmar beschreibt die Reise einer wandernden Figur, die mit einer Mischung aus Sehnsucht und Entschlossenheit durch die Welt zieht. Zu Beginn wird ein starkes Bild von Bewegung und Weite erzeugt, da „alle Eisenbahnen“ und „großen Häfen“ für sie existieren, während die Wanderstraßen ins Unbekannte führen. Die Protagonistin steht als eine Art Mittelpunkt dieser Weltbewegungen, bereit, die Reise und alles, was sie mit sich bringt, freudig zu begrüßen.

Die zweite Strophe verstärkt dieses Gefühl der Verbundenheit mit der Welt, indem die „Erdkugel“ selbst in ihrer Hand greift. Das Bild des „Zipfels“ der Welt und des „Tuchs“, das sich um den Nacken schlingt, zeigt die Wandernde als jemand, der die Welt in ihre eigenen Hände nimmt. Es ist eine weltumfassende, aber gleichzeitig sehr persönliche Reise, die durch die poetische Verbindung von Sinneseindrücken – „Kalvillgeruch“ und „braunen Kernen“ – eine fast greifbare Nähe zur Welt herstellt.

Im dritten Teil des Gedichts wird die Reise dunkler und ambivalenter. Es tauchen „schwere eherne Gitter“ und ein „buckliges Haus“ auf, die die Protagonistin überwachen. Die „verirrten Bilder“ und die „Sehnsucht des Blinden“ sowie „die Wünsche des Lahmen“ schaffen ein Bild von Hindernissen und verlorenen Träumen, die die Reise in eine existenzielle Auseinandersetzung mit der Welt verwandeln. Der „Reisebericht“ ist nicht nur ein Bericht von äußeren Wegen, sondern auch ein Spiegel innerer Kämpfe und Reflexionen.

Die letzte Strophe bringt das Bild der Reise auf eine symbolische Ebene. Die „nackten, kämpfenden Arme“ und der „leuchtende Blick“ auf den Himmel verdeutlichen den fortwährenden Kampf der Reisenden, sich der Welt zu stellen und dabei gleichzeitig in ihr zu versinken. Doch der Gedanke, am Ende „still am Weiser zu stehen“ und „nichts als Sand in den Schuhen“ zu sein, verweist auf die Vergänglichkeit und die Sinnlosigkeit der Reise. Die Wanderin bleibt ein „Kommender“, ein Suchender, der nie ganz ankommt, was das Gedicht zu einer Meditation über das Leben als fortwährende Reise macht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.