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Charlotte Corday

Von

Die in Schleiern schwebend und geweiht,
Eine aschenblonde Kerze, glomm:
Ihre Augen blühten klar und fromm,
Ihre Hände griffen Dunkelheit;

Dunkelheit umschmiegte, was sie barg,
Ihres Mordes streng erwählte Pflicht,
Da sie ohne Flackern ihr Gesicht
Leuchtend hinhob an den nahen Sarg.

In den düstern Käfig stieg sie hell.
Ach, die Treppe war so schwer zu gehn!
Jede Stufe ward ihr zehnmal zehn,
Alle Stufen schwanden viel zu schnell.

Als ihr Mut die Glocke droben zog,
Schrie das Herz, schrie Wehe ob der Hand,
Rief so tönend, daß sie nicht verstand,
Wie ihr Mund die Öffnende belog.

Jenes ernste, ungeschmückte Weib,
Das den Dämon heilig liebte, ihn,
Der von Flammenkronen widerschien…
Und sie sah das Bad, den Männerleib,

Sah die Schulter nackt, die breite Brust,
Um sein Haupt ein wunderliches Tuch,
Spürte dünnen Arzeneigeruch,
Fand in falbem armutskranken Dust

Linnen, Wanne, Brett und Tintenfaß,
Federkiel, der winkte. Und sie kam,
Warf vom Lid die Röte ihrer Scham,
Riß ums Antlitz blendend ihren Haß,

Saß so stark und zitternd zu Gericht,
Bot den Zettel, den er fiebrig griff,
Wiederholte schweigend dieses: „Triff!“,
Fest sich fassend schon. Sie wußte nicht,

Daß er groß war. Aber sie war rein,
Stahl, der seine Feuerpranke brach.
Sie erglänzte, zuckte auch und stach
Als ein Messer blitzend in ihn ein.

Werkzeug, gleich umklammert und zerschellt;
Heldin, die dem Glauben starb. Er ruht.
Aus der Wunde fließt sein Herz, sein Blut
Über Frankreich strömend in die Welt.

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Gedicht: Charlotte Corday von Gertrud Kolmar

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Charlotte Corday“ von Gertrud Kolmar porträtiert die historische Figur der Charlotte Corday, die 1793 den radikalen Revolutionär Jean-Paul Marat ermordete. Kolmar nähert sich dieser Tat nicht aus einer politischen, sondern aus einer tief psychologischen und symbolischen Perspektive. Das Gedicht stellt Charlotte als fast sakrale Gestalt dar – eine Frau, die ihre Tat wie ein religiöses Opfer begreift.

Bereits die ersten Verse zeigen eine entrückte, beinahe mystische Figur: „Eine aschenblonde Kerze“ beschreibt Charlotte als brennendes, opferbereites Wesen, das Licht in die Dunkelheit trägt, aber zugleich selbst von ihr umgeben ist. Ihre Hände greifen „Dunkelheit“, was ihre bewusste Entscheidung für eine Tat im Verborgenen und mit tragischer Konsequenz unterstreicht. Die Bildsprache wirkt sakral und suggestiv: Charlotte erscheint wie eine Heilige, die in den Tod geht – getragen von Pflicht und moralischer Überzeugung.

In der zentralen Szene des Gedichts – der Begegnung mit Marat – wird die Spannung zwischen innerem Widerstreit und äußerem Handeln deutlich. Charlotte erlebt einen Moment tiefster Zerrissenheit: Ihr Herz „schrie Wehe“, während ihr Mund die „Öffnende belog“. Diese Diskrepanz zwischen innerer Qual und äußerem Vollzug verleiht der Figur eine tragische Tiefe. Sie wird nicht als fanatische Attentäterin gezeigt, sondern als Frau, die mit Schmerz und Angst ihre Entscheidung vollzieht.

Marat selbst erscheint in entzauberter Gestalt: ein kranker Mann, umgeben von ärmlicher Umgebung, Arzeneigeruch und Tintenfass – alles andere als heroisch oder dämonisch. Und doch bezeichnet das lyrische Ich ihn als „Dämon“, den sie „heilig liebte“, was auf eine komplexe Ambivalenz zwischen Faszination, Abscheu und einer übergeordneten Idee verweist. Charlotte tötet nicht aus Hass allein, sondern aus einem Glauben an eine größere moralische Notwendigkeit.

Im Schlussbild verschmelzen Tat und Mythos: Charlotte wird zur „Heldin“, zur „Werkzeug“ einer höheren Idee. Ihr Messerstich wird zum Akt der Erlösung – nicht für sie selbst, sondern symbolisch für Frankreich. Das Bild des fließenden Bluts, das „in die Welt“ strömt, suggeriert eine Erschütterung, vielleicht sogar eine Katharsis. Gertrud Kolmar gelingt es, in dichter Bildsprache und mit großer Sensibilität, eine Frau zu zeigen, die sich bewusst opfert – nicht nur politisch, sondern als tragische Heldin einer innerlich zerrissenen Welt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.