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Alles in Dir

Von

In Dir, o Mensch, ist alles:
In Dir ist der Schlaf und das Wache:
In Dir ist die Zeit.
Und ohne Dich ist keine Zeit.
In Dir ist die Zeit
Und die Fülle der Zeit:
Der qualmende Dampfer,
Die rollende Bahn,
Der eiserne Lärm
Und das Schweigen des Domes.
Der Stein und der Mörtel:
Das Haus und die Stadt.
In Dir ist die Fülle
Des zeitlichen Werkes.

In Dir, o Mensch, ist alles:
Die mordende Hand
Und das Künstler-Gehirn, –
Das ruchlose, stinkende Wort
Und das schwellende, schwebende Lied.
Die Liebe um Liebe:
Die Liebe der männlichen Stärke
Zu weiblicher Weichheit.
Und trübe verzehrende Liebe
Der Gleichen zu Gleichem.
Ist Beides in Dir:
Der Gott und das Böse.

In Dir, o Mensch, ist Alles:
Das trinkende Ohr
Und der Antworten speiende Mund.
Der nehmende Mund
Und der scheidende Darm –
Der bohrende Keim
Und der schwellende Schoß:
Der aufsaugende Anfang,
Das ausbrechende Sein.
Ist Beides in Dir:
Der schäumende Anfang,
Das reifende Ende,
Das Ende,
Das wieder nur Anfang,
Ist Alles, o Alles in Dir!

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Gedicht: Alles in Dir von Gerrit Engelke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Alles in Dir“ von Gerrit Engelke reflektiert die Gesamtheit menschlicher Existenz in ihrer Widersprüchlichkeit und Fülle. Es stellt den Menschen als Zentrum allen Seins dar, in dem Gegensätze wie Leben und Tod, Schöpfung und Zerstörung, Liebe und Gewalt vereint sind. Die wiederholte Anrede „In Dir, o Mensch, ist alles“ hebt die universale und fast kosmische Dimension der menschlichen Erfahrung hervor.

Engelke arbeitet mit starken Kontrasten, die die Bandbreite menschlichen Daseins verdeutlichen: technische Fortschritte („Dampfer“, „Bahn“, „Lärm“) stehen neben spiritueller Stille („Schweigen des Domes“), künstlerisches Schaffen („schwebendes Lied“) existiert neben moralischem Verfall („stinkendes Wort“). Besonders auffällig ist die Darstellung der Liebe in unterschiedlichen Formen: einerseits als schöpferische, geschlechtliche Vereinigung, andererseits als zerstörerische, unglückliche Leidenschaft. Diese Ambivalenz zeigt, dass der Mensch sowohl zum Göttlichen als auch zum Bösen fähig ist.

Die letzte Strophe steigert diese Totalität ins Existenzielle: Der Körper selbst wird als Schauplatz von Werden und Vergehen beschrieben, mit Bildern des Wachstums („bohrender Keim“) und der Vergänglichkeit („reifendes Ende“). Die Schlusszeile „Das Ende, das wieder nur Anfang“ deutet auf einen ewigen Kreislauf hin, in dem Leben und Tod untrennbar verbunden sind. Engelkes Gedicht ist eine eindringliche Reflexion über die Dualität der menschlichen Natur, die zwischen Schöpfung und Zerstörung, Liebe und Hass, Anfang und Ende oszilliert – und doch in sich die gesamte Welt trägt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.