Alltag, Frieden, Frühling, Gegenwart, Gemeinfrei, Herbst, Himmel & Wolken, Jahreszeiten, Liebe & Romantik, Natur, Sommer, Tiere, Unschuld, Wälder & Bäume
Schlusslied
Heller ward es im Osten.
Da machte sich auf der Morgenwind,
Vom Schlummer zu wecken
Des Frühlings lieblichste Kinder:
Maililien und wilde
Zartrosa Rosen.
Sacht durchzog er das junge
Gras und das grüne
Sprossende Korn, dass die Ähren
Leis zu nicken begannen und weithin
Wogten hinab
Zu der Felder Umzäunung.
Munter fuhr er einher
An der Seite des Hügels,
Jagte den Duft empor
Von den Apfelblüten und tanzte
Über die Gärten hinweg
In den Forst dann,
Spielend hier mit der weißlichen
Birke Gezweig, mit dem Wipfel
Der Tanne dort und des Buchbaums
Prächtiger Krone;
Säuseln und Rauschen begann
Im Tal, auf den Höhen.
Demanten glänzte der Tau
Im wachsenden Licht;
Aus Blättern und Kelchen
Rollt er, und Leben entsteht
Und Bewegung jetzt, überall, überall!
Träumrisch erhebt ihr Köpfchen
Die Taube; es springt
Von Ast zu Ast die schwarzweiße
Elster; die Falken erwachen
Im Dickicht, und horchend
Reckt der Hirsch sich empor
An dem sprudelnden Waldbach.
Vorbei die Stille der Nacht!
Es erwachen
Die Lieder in jeder Brust,
So Natur zum Gesange gestimmt hat.
Ein Ruf jetzt – ein Schrei des Entzückens!
Und hell zu der Wälder Gerausch
Erschallt in melodischem Chor
Das Festlied aller Lebend’gen!
Triumph! dass du kamst,
O strahlende Sonne; ein neuer
Tag geht auf den Völkern der Erde.
Mag alles froh dich begrüßen,
Mag alles liebend dir nachschaun,
Wenn wundervoll
Nach vollbrachtem Lauf
Du leuchtend wieder hinabsinkst.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Schlusslied“ von Georg Weerth ist ein hymnischer Lobgesang auf den neuen Tag und die belebende Kraft der Natur, der in seiner letzten Strophe eine tiefere politische und soziale Dimension annimmt. Es verbindet eine intensive, fast mystische Naturbeschreibung mit der Vision eines Neubeginns, der nicht nur die Natur, sondern auch die „Völker der Erde“ betrifft. Weerth verknüpft damit romantische Bildsprache mit einem unterschwelligen Aufruf zur Erneuerung und Hoffnung.
Die ersten Strophen des Gedichts entfalten ein eindrucksvolles Panorama des beginnenden Morgens. Der „Morgenwind“ weckt sanft die Blumen, lässt Gras und Korn sich bewegen, trägt Düfte durch Felder, Gärten und Wälder. Die Natur wird als lebendiges, atmendes Ganzes beschrieben, in dem alles miteinander verbunden ist. Dabei arbeitet Weerth stark mit Verben der Bewegung – „sacht durchzog“, „jagte“, „tanzte“, „spielend“, „säuseln“, „rauschen“ – und erzeugt so ein dynamisches, lebensbejahendes Bild des Tagesanbruchs.
Diese vitalistische Naturerfahrung steigert sich zur allgemeinen Erweckung: Tiere erwachen, Licht bricht sich im Tau, und aus der Nacht tritt die Welt ins Leben zurück. Der „sprudelnde Waldbach“, der Hirsch, die Elster – sie alle sind Teil eines großen, erwachenden Ganzen. Die Natur ist hier nicht statisch, sondern voller Rhythmus und Resonanz. Besonders eindrücklich ist das Bild der „Lieder in jeder Brust“, das die Verbindung von Natur und innerem, menschlichen Erleben betont. Die Natur bringt nicht nur Leben hervor, sondern stimmt auch die Seelen zum Gesang.
In der letzten Strophe erfährt das Gedicht eine Wendung ins Symbolische: Die aufgehende Sonne wird zur Metapher für einen neuen Anfang – nicht nur im natürlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Sinn. „Ein neuer Tag geht auf den Völkern der Erde“ lässt sich als Hoffnung auf gesellschaftliche Erneuerung oder Befreiung lesen. In typischer Manier des Vormärz, dem Weerth angehört, wird das Naturbild zur Chiffre für politische Utopie. Die Sonne steht für Freiheit, Fortschritt, vielleicht auch Revolution – Begriffe, die in Weerths dichterischem und publizistischem Schaffen eine zentrale Rolle spielen.
So ist „Schlusslied“ weit mehr als ein reines Naturgedicht: Es ist eine poetische Feier der Lebendigkeit, der Verbindung von Mensch und Welt, und zugleich ein Aufruf zur Hoffnung auf bessere Zeiten. Die Kraft, die in der Natur wirkt, wird auf den Menschen übertragen – als Lebensenergie, als schöpferischer Impuls, als Bewegung hin zu Licht und Erneuerung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.