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Verfall

Von

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,

Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

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Gedicht: Verfall von Georg Trakl

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Verfall“ von Georg Trakl spiegelt eine tief melancholische Stimmung wider, die die Themen Vergänglichkeit und den unvermeidlichen Verfall des Lebens behandelt. Zu Beginn beschreibt der Sprecher den Abend, in dem die „Glocken Frieden läuten“, ein Symbol für die Ruhe und den Übergang in eine Phase des Rückzugs. Der Sprecher folgt den „wundervollen Flügen“ der Vögel, die in einem großen „Schwarm“ gleich „frommen Pilgerzügen“ verschwinden. Dieses Bild von Vögeln, die in den „herbstlich klaren Weiten“ entschweben, verweist auf eine spirituelle Reise oder den natürlichen Zyklus des Lebens, bei dem die Vögel eine Metapher für den Übergang von Leben zu Tod oder für die Sehnsucht nach etwas Höherem darstellen.

Die zweite Strophe verlagert die Perspektive des Sprechers in einen „dämmervollen Garten“, der eine zwischen Tag und Nacht liegende Atmosphäre schafft – ein Ort der Übergänge und der Schwellen. Der Sprecher träumt nach den „helleren Geschicken“ der Vögel, was die Sehnsucht nach einem besseren, reinen Zustand des Seins widerspiegelt. Doch diese Träume werden von einer tieferen Erkenntnis begleitet: „der Stunden Weiser kaum mehr rücken“, was auf die Unaufhaltsamkeit des Zeitvergangs und die Resignation des Sprechers vor der Endlichkeit des Lebens hinweist. Die Vögel, die der Sprecher verfolgt, scheinen einen symbolischen „Fahrplan“ für das Leben zu bieten, den der Mensch jedoch nicht nachholen kann.

In der dritten Strophe wird der „Hauch“ von Verfall spürbar, was als eine Wendung zur dunklen Realität des Lebens und des Alterns verstanden werden kann. Der Klang der „Amsel“, die in den „entlaubten Zweigen“ klagt, verstärkt die Atmosphäre des Verlustes und der Trauer. Die „rostigen Gittern“ und der „rote Wein“, der an ihnen schwankt, stellen die Zerfallsgeschwindigkeit der Welt und des Lebens dar, während sie zugleich die Schönheit und die Vergänglichkeit des Genusses und des Lebens symbolisieren. Der „blasse Kinder Todesreigen“ verweist auf den fließenden Übergang von Leben zu Tod und das drohende Ende, das auch unschuldige und junge Seelen betrifft.

Die abschließenden Bilder von „blauen Astern“, die sich „fröstelnd“ im Wind neigen, verstärken das Bild der Vergänglichkeit und des Verfalls. Diese Blumen, die an einen kalten Wind gebunden sind, erscheinen in ihrem langsamen Verblassen als Metaphern für den natürlichen Zyklus des Lebens und den Schmerz des Alterns und der Vergänglichkeit. Trakl bringt die Unaufhaltsamkeit des Verfalls mit einer fast halluzinatorischen Kraft zum Ausdruck und lässt den Leser in einer Welt der Melancholie und des inneren Zerrissens zurück. Das Gedicht vermittelt eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Verfall als Teil des menschlichen Daseins, das unweigerlich mit der Zeit und dem Tod verbunden ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.