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Melusine

Von

Wovon bin ich nur aufgewacht?
Mein Kind, es fielen Blüten zur Nacht!

Wer flüstert so traurig, als wie im Traum?
Mein Kind, der Frühling geht durch den Raum.

o sieh! Sein Gesicht wie tränenbleich!
Mein Kind, er blühte wohl allzu reich.

Wie brennt mein Mund! Warum weine ich?
Mein Kind, ich küsse mein Leben in dich!

Wer fasst mich so hart, wer beugt sich zu mir?
Mein Kind, ich falte die Hände dir.

Wo geh‘ ich nur hin? Ich träumte so schön!
Mein Kind, wir wollen in den Himmel gehn.

Wie gut, wie gut! Wer lächelt so leis‘?
Da wurden ihre Augen weiß –

Da löschten alle Lichter aus
Und tiefe Nacht durchwehte das Haus.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Melusine von Georg Trakl

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Melusine“ von Georg Trakl beschreibt eine mystische und gleichzeitig melancholische Szene, in der die Grenze zwischen Leben und Tod verschwimmt. Es wird eine fast halluzinatorische Erfahrung vermittelt, in der die lyrische Ich-Perspektive nach und nach ein zunehmendes Gefühl von Verwirrung und Einsamkeit erlebt. Die wiederholte Ansprache des „Kindes“ deutet auf eine intime Beziehung hin, vielleicht eine symbolische Figur für das eigene Ich oder ein verlorenes Wesen. Die Fragen und Ausrufe des Ichs spiegeln eine Zerrissenheit und ein Suchen nach Antworten wider.

Die wiederkehrende Symbolik von Frühling, Blüten und einem „tränenbleichen“ Gesicht lässt auf die Vergänglichkeit des Lebens und die Traurigkeit des Vergehens schließen. Der Frühling, der traditionell für Erneuerung und Leben steht, wird hier jedoch als eine Flut von Leid und Verlust dargestellt. Es scheint, als ob das Leben der lyrischen Figur zu intensiv und zu schnell gelebt wurde, was in der Zeile „er blühte wohl allzu reich“ seine Tragik ausdrückt.

Trakl verwendet eine dichte, emotional aufgeladene Sprache, um die innere Zerrissenheit und den Übergang zwischen Leben und Tod darzustellen. Der „Mund“, der „brennt“, und das „Weinen“ symbolisieren die Qualen, die mit der existenziellen Auseinandersetzung einhergehen. Der Akt des „Küssens“ des Lebens in das Kind hinein könnte als Versuch gedeutet werden, das Leben und seine Schönheit trotz der Trauer und des bevorstehenden Verlusts festzuhalten.

Am Ende des Gedichts wird die Nacht zum alles überdeckenden Element, das nicht nur das Haus, sondern auch das gesamte Bild von Leben und Tod in Dunkelheit hüllt. Trakl lässt die Figur der Melusine in einem Zustand des Übergangs zurück, wobei die endgültige Erlösung oder Zerstörung im Dämmerzustand verbleibt. Es entsteht ein Gefühl von Unergründlichkeit, in dem der Tod ebenso unaufhaltsam wie die untrennbare Verbindung zum Leben ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.