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Die Lieb ist Leben und Tod

Von

Das Leben so ich führ ist wie der wahre Tod,
Ja über den Tod selbs ist mein trostloses Leben:
Es endet ja der Tod des menschen pein und Leben,
Mein Leben aber kan nicht enden diser Tod.
Bald kan ein anblick mich verlötzen auf den Tod,
Ein andrer anblick bald kan mich widrumb beleben,
Daß ich von blicken muß dan sterben und dan leben,
Und bin in einer stund bald lebendig bald tod.
Ach Lieb! verleyh mir doch numehr ein anders Leben,
Wan ich ja leben soll, oder den andern tod,
Dan weder disen Tod lieb ich, noch dises Leben.
Lieb, ich bin dein lebendig und tod,
Und ist der Tod mit dir ein köstlich-süsses Leben,
Und leben von dir fern ist ein gantz bittrer Tod.

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Gedicht: Die Lieb ist Leben und Tod von Georg-Rodolf Weckherlin

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Lieb ist Leben und Tod“ von Georg-Rodolf Weckherlin beschreibt die existenzielle Zerrissenheit und die untrennbare Verbindung zwischen Leben und Tod, die durch die Erfahrung der Liebe intensiviert wird. Zu Beginn stellt das lyrische Ich das eigene Leben als eine Art „wahren Tod“ dar, was eine paradoxe und verstörende Aussage ist. Es drückt eine tiefe Trauer und Verzweiflung aus, die mit der eigenen Existenz verbunden sind. Das Leben scheint für das lyrische Ich von Qual und unerträglichem Leiden geprägt, das den Tod selbst als weniger schmerzhaft erscheinen lässt. Diese Vorstellung verdeutlicht, wie sehr das Ich von der Liebe und dem Fehlen dieser Liebe gequält wird, wobei das Leben als ein unendlicher Zustand der Pein erscheint.

Im weiteren Verlauf beschreibt das Gedicht die zerrissene Wahrnehmung der eigenen Existenz, die sich zwischen Leben und Tod hin- und herbewegt. Der Blick eines anderen Menschen kann das Ich sowohl in den Tod stürzen als auch wiederbeleben, was die Unbeständigkeit und die wechselhafte Natur der Gefühle und des Seins verdeutlicht. In einer „Stunde“ kann das lyrische Ich „lebendig“ und zugleich „tod“ sein, was den ständigen Wechsel zwischen emotionaler Erhebung und Verzweiflung beschreibt. Diese ambivalente Erfahrung zwischen Leben und Tod wird zu einem zentralen Motiv des Gedichts, das auf die instabile und fließende Natur der menschlichen Emotionen und des Seins hinweist.

Die Bitte des lyrischen Ichs, von der „Lieb“ ein anderes Leben oder einen anderen Tod zu erhalten, verdeutlicht die Sehnsucht nach einer Veränderung des Zustands, in dem es sich befindet. Es ist der Wunsch nach einer Erlösung aus dem Zwiespalt zwischen Leben und Tod, der das Ich quält. Die Doppeldeutigkeit der Worte „leben“ und „tod“ wird hier noch verstärkt: Weder das Leben, das es führt, noch der Tod, der es möglicherweise erwartet, scheinen wünschenswert. Der Konflikt zwischen den beiden Zuständen wird zu einer tragischen, fast unlösbaren Existenzkrise.

Das Gedicht endet mit einer paradoxen, aber tiefgründigen Erkenntnis: „Lieb, ich bin dein lebendig und tod“. In dieser Zeile wird die Liebe als das verbindende Element zwischen Leben und Tod beschrieben. Der „Tod“ in der Liebe wird als „köstlich-süßes Leben“ empfunden, während das Leben ohne die Liebe als „ganz bitterer Tod“ erscheint. Diese Zeilen betonen die existenzielle Bedeutung der Liebe für das lyrische Ich – sie ist sowohl die Quelle des Lebens als auch der Tod, die einzige Wahrheit und gleichzeitig die größte Qual. Die Ambivalenz zwischen Leben und Tod wird zu einem Symbol für die Intensität und die Vielschichtigkeit der Liebe, die das menschliche Dasein auf paradoxe Weise bestimmt und gestaltet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.