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Der Hunger

Von

Er fuhr in einen Hund, dem groß er sperrt
Das rote Maul. Die blaue Zunge wirft
Sich lang heraus. Er wälzt im Staub. Er schlürft
Verwelktes Gras, das er dem Sand entzerrt.

Sein leerer Schlund ist wie ein großes Tor,
Drin Feuer sickert, langsam, tropfenweis,
Das ihm den Bauch verbrennt. Dann wäscht mit Eis
Ihm eine Hand das heiße Speiserohr.

Er wankt durch Dampf. Die Sonne ist ein Fleck,
Ein rotes Ofentor. Ein grüner Halbmond führt
Vor seinen Augen Tänze. Er ist weg.

Ein schwarzes Loch gähnt, draus die Kälte stiert.
Er fällt hinab, und fühlt noch, wie der Schreck
Mit Eisenfäusten seine Gurgel schnürt.

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Gedicht: Der Hunger von Georg Heym

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Hunger“ von Georg Heym schildert in eindringlichen und verstörenden Bildern die Qual und das körperliche Leiden, das mit extremem Hunger einhergeht. Heym personifiziert den Hunger, indem er ihn in einen Hund fahren lässt, der verzweifelt und entstellt wirkt. Das „rote Maul“ und die „blaue Zunge“ verstärken das Bild eines kranken, ausgemergelten Wesens, das im Staub nach Nahrung sucht und selbst „verwelktes Gras“ aus dem Sand zu reißen versucht. Der Hund wird zum Sinnbild des körperlichen Verfalls und der Ausweglosigkeit.

Das Gedicht verbindet Körperlichkeit mit innerer Qual: Der „leere Schlund“ wird zum „großen Tor“, aus dem Feuer sickert – ein Bild für die brennenden Schmerzen des Hungers, der den Bauch verzehrt. Gleichzeitig wechselt die Darstellung ins Surreale, wenn „eine Hand“ mit Eis das „Speiserohr“ kühlt. Diese Szene lässt sich als verzerrte Wahrnehmung eines Bewusstseins lesen, das zwischen Fieberwahn und körperlichem Schmerz schwankt.

Die dritte Strophe verdichtet das Leiden zu einer fast halluzinatorischen Szenerie. Der „rote Ofenfleck“ der Sonne und der „grüne Halbmond“ erzeugen optische Trugbilder, die den körperlichen und geistigen Verfall des Gepeinigten unterstreichen. Schließlich folgt der Zusammenbruch: Das „schwarze Loch“, das „Kälte“ ausstrahlt, könnte das Symbol für das Bewusstloswerden oder das Herannahen des Todes sein. Die letzte Zeile beschreibt eindrücklich, wie der „Schreck“ die Gurgel mit „Eisenfäusten“ zuschnürt – ein letzter Moment der Todesangst.

Insgesamt zeigt Heym in „Der Hunger“ eine intensive Darstellung körperlicher und psychischer Ausnahmesituationen. Die Bildsprache schwankt zwischen naturalistischer Darstellung der Not und surrealen Wahrnehmungen, die das Empfinden von Schmerz und Angst ins Unermessliche steigern. Das Gedicht macht den Hunger zur existenziellen Erfahrung, die den Körper wie den Geist vollständig zerstört.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.