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Der fliegende Holländer

Von

1.

Wie Feuerregen füllt den Ozean
Der schwarze Gram. Die großen Wogen türmt
Der Südwind auf, der in die Segel stürmt,
Die schwarz und riesig flattern im Orkan.

Ein Vogel fliegt voraus. Sein langes Haar
Sträubt von den Winden um das Haupt ihm groß.
Der Wasser Dunkelheit, die meilenlos,
Umarmt er riesig mit dem Schwingenpaar.

Vorbei an China, wo das gelbe Meer
Die Drachendschunken vor den Städten wiegt,
Wo Feuerwerk die Himmel überfliegt
Und Trommeln schlagen um die Tempel her.

Der Regen jagt, der spärlich niedertropft
Auf seinen Mantel, der im Sturme bläht.
Im Mast, der hinter seinem Rücken steht,
Hört er die Totenuhr, die ruhlos klopft.

Die Larve einer toten Ewigkeit
Hat sein Gesicht mit Leere übereist.
Dürr, wie ein Wald, durch den ein Feuer reist.
Wie trüber Staub umflackert es die Zeit.

Die Jahre graben sich der Stirne ein,
Die wie ein alter Baum die Borke trägt.
Sein weißes Haar, das Wintersturmwind fegt,
Steht wie ein Feuer um der Schläfen Stein.

Die Schiffer an den Rudern sind verdorrt,
Als Mumien schlafen sie auf ihrer Bank.
Und ihre Hände sind wie Wurzeln lang
Hereingewachsen in den morschen Bord.

Ihr Schifferzopf wand sich wie ein Barett
Um ihren Kopf herum, der schwankt im Wind.
Und auf den Hälsen, die wie Röhren sind,
Hängt jedem noch ein großes Amulett.

Er ruft sie an, sie hören nimmermehr.
Der Herbst hat Moos in ihrem Ohr gepflanzt,
Das grünlich hängt und in dem Winde tanzt
Um ihre welken Backen hin und her.

2.

Dich grüßt der Dichter, düsteres Phantom,
Den durch die Nacht der Liebe Schatten führt,
Im unterirdisch ungeheuern Dom,
Wo schwarzer Sturm die Kirchenlampe schürt,

Die lautlos flackert, ein zerstörtes Herz,
Von Qual durchlöchert, und die Trauer krankt
Im Tode noch in seinem schwarzen Erz.
An langen Ketten zittert es und schwankt.

Sein roter Schein flammt über Gräber hin.
An dem Altare kniet ein Ministrant,
Zwei Dolche in der offnen Brust. Darin
Noch schwelt und steigt trostloser Liebe Brand.

Durch schwarze Stollen flattert das Gespenst.
Er folgt ihm blind, wo schwarze Schatten fliehn,
Den Mond an seiner Stirn, der trübe glänzt,
Und Stimmen hört er, die vorüberziehn

Im hohlen Grund, der von den Qualen schwillt,
Mit dumpfem Laut. Ein ferner Wasserfall
Pocht an der Wand, und bittre Trauer füllt
Wie ein Orkan der langen Treppen Fall.
Fern kommt ein Zug von Fackeln durch ein Tor,
Ein Sarg, der auf der Träger Schultern bebt
Und langsam durch den langen Korridor
In trauriger Musik vorüberschwebt.

Wer ruht darin? Wer starb? Der matte Ton
Der Flöten wandert durch die Gänge fort.
Ein dunkles Echo ruft er noch, wo schon
Die Stille hockt an dem versunknen Ort.

Das Grau der Mitternacht wird kaum bedeckt
Von einer gelben Kerze, und es saust
Der Wind die Gänge fort, der bellend schreckt
Den Staub der Grüfte auf, der unten haust.

Maßlose Traurigkeit. In Nacht allein
Verirrt der Wandrer durch den hohen Flur,
Wo oben in der dunklen Wölbung Stein
Gestirne fliehn in magischer Figur.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der fliegende Holländer von Georg Heym

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der fliegende Holländer“ von Georg Heym ist eine düstere, expressionistische Ballade, die sich mit dem Mythos des verfluchten Seefahrers auseinandersetzt. Im Mittelpunkt steht der „fliegende Holländer“ als Symbol einer geisterhaften, ewigen Verdammnis. Heym verleiht der Figur eine apokalyptische Dimension, die weit über die klassische Sage hinausgeht. Bereits im ersten Teil dominiert eine unheilvolle Naturbeschreibung: Der Ozean wird als „Feuerregen“ und „schwarzer Gram“ dargestellt, die Wellen türmen sich im Orkan, und der Südwind bläht die Segel wie dunkle Bedrohung. Die Naturkräfte wirken feindlich und übermächtig.

Die Figur des fliegenden Holländers wird mit übernatürlichen Zügen versehen. Der „Vogel“ mit „langem Haar“ und „Schwingenpaar“ erscheint riesenhaft und unheimlich, sein Gesicht ist eine „Larve einer toten Ewigkeit“, sein Körper verdorrt wie ein „Wald, durch den ein Feuer reist“. Auch seine Mannschaft gleicht eher einem Geisterheer: Die Schiffer wirken wie Mumien, ihre Hände sind „wie Wurzeln“ in das Schiff gewachsen, taub und vom Moos überwuchert. Das Schiff wird so zur Metapher für eine tote, von der Zeit aufgezehrte Welt zwischen Leben und Tod.

Im zweiten Teil richtet sich das lyrische Ich direkt an das „düstere Phantom“ und erkennt sich selbst im Bild des verdammten Wandrers wieder. Die Szenerie wechselt von der offenen See in einen unterirdischen „Dom“, der einer Kathedrale des Todes gleicht. Heym nutzt hier starke, unheimliche Bilder: Ein Ministrant mit „zwei Dolchen in der Brust“, Särge, die durch finstere Gänge getragen werden, und ein ständiges Schwanken zwischen Tod, Qual und Verlorenheit.

Das Gedicht ist geprägt von typischen expressionistischen Motiven wie Verwesung, Vergänglichkeit und einer bedrohlichen, fast apokalyptischen Natur. Die verzerrten Bilder von Dunkelheit, Sturm und Tod spiegeln eine tiefe existenzielle Unruhe wider. Das „Phantom“ des Holländers wird zum Sinnbild des Menschen, der ruhelos und verlassen in einer feindlichen, chaotischen Welt umherirrt – eine Allegorie für Isolation, Verzweiflung und den Verlust von Orientierung im Leben.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.