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Das Ideal und das Leben

Von

Ewigklar und spiegelrein und eben
Fließt das zephirleichte Leben
Im Olymp den Seligen dahin.
Monde wechseln und Geschlechter fliehen,
Ihrer Götterjugend Rosen blühen
Wandellos im ewigen Ruin.
Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden
Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl;
Auf der Stirn des hohen Uraniden
Leuchtet ihr vermählter Strahl.

Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen,
Frei sein in des Todes Reichen,
Brechet nicht von seines Gartens Frucht.
An dem Scheine mag der Blick sich weiden,
Des Genusses wandelbare Freuden
Rächet schleunig der Begierde Flucht.
Selbst der Styx, der neunfach sie umwindet,
Wehrt die Rückkehr Ceres Tochter nicht,
Nach dem Apfel greift sie, und es bindet
Ewig sie des Orkus Pflicht.

Nur der Körper eignet jenen Mächten,
Die das dunkle Schicksal flechten,
Aber frei von jeder Zeitgewalt,
Die Gespielin seliger Naturen
Wandelt oben in des Lichtes Fluren,
Göttlich unter Göttern, die Gestalt.
Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben,
Werft die Angst des Irdischen von euch.
Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In des Ideales Reich!

Jugendlich, von allen Erdenmalen
Frei, in der Vollendung Strahlen
Schwebet hier der Menschheit Götterbild,
Wie des Lebens schweigende Phantome
Glänzend wandeln an dem stygschen Strome,
Wie sie stand im himmlischen Gefild,
Ehe noch zum traurgen Sarkophage
Die Unsterbliche herunterstieg.
Wenn im Leben noch des Kampfes Waage
Schwankt, erscheinet hier der Sieg.

Nicht vom Kampf die Glieder zu entstricken,
Den Erschöpften zu erquicken,
Wehet hier des Sieges duftger Kranz.
Mächtig, selbst wenn eure Sehnen ruhten,
Reißt das Leben euch in seine Fluten,
Euch die Zeit in ihren Wirbeltanz.
Aber sinkt des Mutes kühner Flügel
Bei der Schranken peinlichem Gefühl,
Dann erblicket von der Schönheit Hügel
Freudig das erflogne Ziel.

Wenn es gilt, zu herrschen und zu schirmen,
Kämpfer gegen Kämpfer stürmen
Auf des Glückes, auf des Ruhmes Bahn,
Da mag Kühnheit sich an Kraft zerschlagen,
Und mit krachendem Getös die Wagen
Sich vermengen auf bestäubtem Plan.
Mut allein kann hier den Dank erringen,
Der am Ziel des Hippodromes winkt,
Nur der Starke wird das Schicksal zwingen,
Wenn der Schwächling untersinkt.

Aber der, von Klippen eingeschlossen,
Wild und schäumend sich ergossen,
Sanft und eben rinnt des Lebens Fluß
Durch der Schönheit stille Schattenlande,
Und auf seiner Wellen Silberrande
Malt Aurora sich und Hesperus.
Aufgelöst in zarter Wechselliebe,
In der Anmut freiem Bund vereint,
Ruhen hier die ausgesöhnten Triebe,
Und verschwunden ist der Feind.

Wenn, das Tote bildend zu beseelen,
Mit dem Stoff sich zu vermählen,
Tatenvoll der Genius entbrennt,
Da, da spanne sich des Fleißes Nerve,
Und beharrlich ringend unterwerfe
Der Gedanke sich das Element.
Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born,
Nur des Meißels schwerem Schlag erweichet
Sich des Marmors sprödes Korn.

Aber dringt bis in der Schönheit Sphäre,
Und im Staube bleibt die Schwere
Mit dem Stoff, den sie beherrscht, zurück.
Nicht der Masse qualvoll abgerungen,
Schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen,
Steht das Bild vor dem entzückten Blick.
Alle Zweifel, alle Kämpfe schweigen
In des Sieges hoher Sicherheit,
Ausgestoßen hat es jeden Zeugen
Menschlicher Bedürftigkeit.

Wenn ihr in der Menschheit traurger Blöße
Steht vor des Gesetzes Größe,
Wenn dem Heiligen die Schuld sich naht,
Da erblasse vor der Wahrheit Strahle
Eure Tugend, vor dem Ideale
Fliehe mutlos die beschämte Tat.
Kein Erschaffner hat dies Ziel erflogen,
Über diesen grauenvollen Schlund
Trägt kein Nachen, keiner Brücke Bogen,
Und kein Anker findet Grund.

Aber flüchtet aus der Sinne Schranken
In die Freiheit der Gedanken,
Und die Furchterscheinung ist entflohn,
Und der ewge Abgrund wird sich füllen;
Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Weltenthron.
Des Gesetzes strenge Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, der es verschmäht,
Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.

Wenn der Menschheit Leiden euch umfangen,
Wenn Laokoon der Schlangen
Sich erwehrt mit namenlosem Schmerz,
Da empöre sich der Mensch! Es schlage
An des Himmels Wölbung seine Klage
Und zerreiße euer fühlend Herz!
Der Natur furchtbare Stimme siege,
Und der Freude Wange werde bleich,
Und der heilgen Sympathie erliege
Das Unsterbliche in euch!

Aber in den heitern Regionen,
Wo die reinen Formen wohnen,
Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.
Hier darf Schmerz die Seele nicht durchschneiden,
Keine Träne fließt hier mehr dem Leiden,
Nur des Geistes tapfrer Gegenwehr.
Lieblich, wie der Iris Farbenfeuer
Auf der Donnerwolke duftgem Tau,
Schimmert durch der Wehmut düstern Schleier
Hier der Ruhe heitres Blau.

Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte,
Ging in ewigem Gefechte
Einst Alcid des Lebens schwere Bahn,
Rang mit Hydern und umarmt‘ den Leuen,
Stürzte sich, die Freunde zu befreien,
Lebend in des Totenschiffers Kahn.
Alle Plagen, alle Erdenlasten
Wälzt der unversöhnten Göttin List
Auf die willgen Schultern des Verhaßten,
Bis sein Lauf geendigt ist –

Bis der Gott, des Irdischen entkleidet,
Flammend sich vom Menschen scheidet
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt.
Froh des neuen, ungewohnten Schwebens,
Fließt er aufwärts, und des Erdenlebens
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.
Des Olympus Harmonien empfangen
Den Verklärten in Kronions Saal,
Und die Göttin mit den Rosenwangen
„Reicht ihm lächelnd den Pokal.“

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Gedicht: Das Ideal und das Leben von Friedrich von Schiller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Ideal und das Leben“ von Friedrich von Schiller ist eine philosophisch-poetische Reflexion über die Spannungen zwischen menschlichem Dasein und überzeitlichen Idealen. In klar gegliederten Abschnitten entfaltet Schiller ein Panorama des menschlichen Strebens – zwischen Schönheit, Tugend, Leiden und Vollendung. Die zentrale Spannung liegt dabei zwischen der irdischen Begrenztheit und der Idee einer höheren, göttlichen Sphäre, die nur durch innere Freiheit und das Streben nach dem Schönen erreicht werden kann.

Schiller kontrastiert das Leben der „Seligen im Olymp“, das in vollkommener Harmonie und jenseits des Wandels verläuft, mit dem menschlichen Dasein, das durch Konflikte, Begierde und die Begrenzung durch Zeit und Körperlichkeit geprägt ist. Die Sehnsucht nach Idealität steht dem Leben gegenüber, das zwischen „Sinnenglück“ und „Seelenfrieden“ zerrissen bleibt. Dabei verwendet Schiller mythologische Bilder (wie Ceres’ Tochter oder den Styx), um die Unvereinbarkeit von Genuss und Ideal zu illustrieren: Wer vom Apfel der Begierde kostet, verliert die Reinheit des Ideals.

Im weiteren Verlauf erhebt sich das Gedicht zu einer Feier der geistigen Kräfte des Menschen. Der „Ernst“, die „Anmut“, die „Schönheit“ und vor allem der „Gedanke“ werden zu Mitteln der Erhebung über das Irdische. Der Künstler etwa, der mit dem „Meißel“ ringt oder der Mensch, der sich dem Gesetz nicht als Zwang, sondern als freiwilligem Ausdruck seiner Vernunft unterwirft, sind positive Gegenbilder zum bloß Leidenden oder Getriebenen. Der Gedanke, dass das Gesetz nur den „Sklavensinn“ bindet, hebt Schillers Ideal des moralisch autonomen Menschen hervor.

Doch auch das Leiden findet seinen Platz in Schillers Idealbild. Der Mensch soll das Leiden nicht ignorieren, sondern ihm mit „Sympathie“ und „Empörung“ begegnen, wenn es Unrecht ist. Das Gefühl wird nicht unterdrückt, sondern in eine höhere Form geführt – es geht um das „tapfre Gegenwehr“ des Geistes, nicht um Resignation. In der Kunst (der „reinen Form“) dagegen findet das Leiden eine ästhetisch geläuterte Gestalt, die nicht mehr schmerzt, sondern versöhnt.

In der Schlussvision lässt Schiller den Mythos des Herakles (Alcides) aufleben: Ein Leben voller Mühen und Prüfungen wird schließlich in eine transzendente Sphäre überführt. Die letzte Strophe, in der Herakles in den Olymp aufgenommen wird und die „Göttin mit den Rosenwangen“ ihm den „Pokal“ reicht, steht als Sinnbild für die endgültige Vereinigung von Ideal und Leben – erreichbar jedoch nur jenseits des Irdischen.

„Das Ideal und das Leben“ ist ein dichterischer Ausdruck von Schillers klassischem Menschenbild: Der Mensch ist unvollkommen, aber durch Vernunft, Schönheit und moralisches Streben dazu berufen, sich über seine Beschränkungen zu erheben. Das Gedicht verbindet philosophischen Tiefgang mit ästhetischer Formvollendung – ein geistiges Vermächtnis der Weimarer Klassik.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.