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An die Dichtkunst

Von

Gespielinn meiner Neben-Stunden,
Bey der ein Theil der Zeit verschwunden,
Die mir, nicht andern, zugehört:
O Dichtkunst, die das Leben lindert!
Wie manchen Gram hast Du verhindert,
Wie manche Fröhlichkeit vermehrt!

Die Kraft, der Helden Trefflichkeiten
Mit tapfern Worten auszubreiten,
Verdankt Homer und Maro dir.
Die Fähigkeit, von hohen Dingen
Den Ewigkeiten vorzusingen,
Verliehst du ihnen und nicht mir.

Die Lust, von Wahn mich zu entfernen
Und Deinem Flaccus abzulernen,
Wie man durch echten Witz gefällt;
Die Lust, den Alten nachzustreben,
Ist mir im Zorn von dir gegeben,
Wenn nicht mein Wunsch das Ziel erhält.

Zu eitel ist das Lob der Freunde:
Und drohen in der Nachwelt Feinde,
Die finden unsre Grösse klein.
Den itzt an Liedern reichen Zeiten
Empfehl ich diese Kleinigkeiten:
Sie wollen nicht unsterblich seyn.

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Gedicht: An die Dichtkunst von Friedrich von Hagedorn

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die Dichtkunst“ von Friedrich von Hagedorn ist eine persönliche Reflexion über die Bedeutung der Dichtung im Leben des lyrischen Ichs. Hagedorn wendet sich direkt an die Dichtkunst und schildert ihre tröstende und bereichernde Wirkung auf seine „Neben-Stunden“, also auf die Mußestunden abseits der Pflichten des Alltags.

Die erste Strophe hebt die lebensnahe Funktion der Poesie hervor: Die Dichtkunst lindert das Leben, vertreibt Kummer und steigert die Freude. Sie wird als treue Begleiterin beschrieben, die dem Dichter in privaten Momenten Trost und Vergnügen schenkt. Bereits hier wird deutlich, dass Hagedorn die Dichtung nicht nur als künstlerisches, sondern auch als persönliches Mittel zur Selbsthilfe und Seelenerhebung versteht.

Im weiteren Verlauf verweist das Gedicht auf große Vorbilder wie Homer und Vergil („Maro“) sowie auf Horaz („Flaccus“). Diese antiken Dichter haben es verstanden, durch ihre Werke Heldenmut und ewige Themen zu besingen. Das lyrische Ich erkennt an, dass diese hohe Fähigkeit der Poesie bei ihm selbst in bescheidenerer Form wirkt. Doch gerade die Möglichkeit, „durch echten Witz“ Lebensweisheit zu vermitteln, wie es Horaz tat, bleibt für ihn ein erstrebenswertes Ideal.

In der letzten Strophe begegnet Hagedorn der eigenen Vergänglichkeit und der möglichen Kritik mit Gelassenheit. Die eigenen Gedichte sollen nicht nach Unsterblichkeit streben, sondern im Hier und Jetzt wirken. Das Gedicht verbindet so eine demütige Selbsteinschätzung mit einer klaren Haltung zur Dichtung: Sie ist für ihn eine Quelle der Freude, der geistigen Auseinandersetzung und der Linderung im Leben – ohne den Anspruch auf ewigen Ruhm.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.