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Und dann nicht mehr

Von

Ich sah sie nur ein einzigmal,
und dann nicht mehr;
da sah ich einen Himmelsstrahl,
und dann nicht mehr.

Ich sah umspielt vom Morgenhauch
durchs Tal sie gehn;
da war der Frühling im Tal,
und dann nicht mehr.

Im Saal des Festes sah ich sie
entschleiern sich,
da war das Paradies im Saal,
und dann nicht mehr.

Sie war die Schenkin, Lust im Kreis
kredenzte sie;
sie bot mir lächelnd eine Schal‘,
und dann nicht mehr.

Sie war die Ros‘, ich sah sie blühn
im Morgentau;
am Abend war die Rose fahl,
und dann nicht mehr.

Nur einmal weinet Gärtner Lenz
um eine Ros‘,
da Tod ihm diese Rose stahl,
und dann nicht mehr.

Ein einzigmal, da sie erblich,
war herb die Lust
des Lebens, süß des Todes Qual,
und dann nicht mehr.

Ich sah die Rose Braut im Flor
verschließen in
die dunkle Kammer eng und schmal,
und dann nicht mehr.

Ich will ins Rosenbrautgemach
im Mondenglanz
noch weinen meiner Tränen Zahl,
und dann nicht mehr.

Ich sah sie nur ein einzigmal,
und dann nicht mehr,
da sah ich einen Himmelsstrahl,
und dann nicht mehr.

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Gedicht: Und dann nicht mehr von Friedrich Rückert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Und dann nicht mehr“ von Friedrich Rückert thematisiert in elegischen Bildern die Erfahrung eines plötzlichen, unwiederbringlichen Verlusts. Immer wieder kehrt die Formel „und dann nicht mehr“ zurück und unterstreicht die Endgültigkeit des Erlebten. Im Zentrum steht die Begegnung mit einer Frau, die als Rose, Himmelsstrahl oder Paradieserscheinung verklärt wird, jedoch ebenso schnell wieder verschwindet, wie sie aufgetaucht ist.

Die wiederholte Struktur der Strophen vermittelt eine kreisende Bewegung zwischen Staunen, Freude und schmerzhafter Enttäuschung. Rückert beschreibt verschiedene Stationen dieser kurzen Begegnung – das erste Sehen, das Erleben von Freude, das Erblassen, das Sterben – und entfaltet damit ein umfassendes Bild von Liebe, Schönheit und Vergänglichkeit. Die Rose wird dabei zum zentralen Symbol: sie steht für die jugendliche Schönheit und die zerbrechliche Lebensfreude, die durch den Tod ausgelöscht werden.

Sprachlich setzt Rückert auf eine schlichte, liedhafte Form, die durch die Kontraste zwischen Licht und Dunkelheit, Blüte und Verwelken sowie Leben und Tod eine tiefe emotionale Spannung erzeugt. Die Wiederholung der Zeile „und dann nicht mehr“ verstärkt dabei die schmerzhafte Endgültigkeit und verleiht dem Gedicht eine melancholische Musikalität.

Insgesamt handelt es sich bei „Und dann nicht mehr“ um eine poetische Meditation über die Flüchtigkeit des Glücks und die Unausweichlichkeit des Verlusts. Das Gedicht verwandelt eine persönliche Trauererfahrung in eine allgemein gültige Klage über die Vergänglichkeit, deren Schönheit gerade in ihrer Vergängnishaftigkeit liegt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.