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Prinz Vogelfrei

Von

So hang ich denn auf krummem Aste
Hoch über Meer und Hügelchen:
Ein Vogel lud mich her zu Gaste
Ich flog ihm nach und rast‘ und raste
Und schlage mit den Flügelchen.

Das weiße Meer ist eingeschlafen,
Es schläft mir jedes Weh und Ach.
Vergessen hab‘ ich Ziel und Hafen,
Vergessen Furcht und Lob und Strafen:
Jetzt flieg ich jedem Vogel nach.

Nur Schritt für Schritt – das ist kein Leben!
Stets Bein vor Bein macht müd und schwer!
Ich lass mich von den Winden heben,
Ich liebe es, mit Flügeln schweben
Und hinter jedem Vogel her.

Vernunft? – das ist ein bös Geschäfte:
Vernunft und Zunge stolpern viel!
Das Fliegen gab mir neue Kräfte
Und lehrt‘ mich schönere Geschäfte,
Gesang und Scherz und Liederspiel.

Einsam zu denken – das ist weise.
Einsam zu singen – das ist dumm!
So horcht mir denn auf meine Weise
Und setzt euch still um mich im Kreise,
Ihr schönen Vögelchen, herum!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Prinz Vogelfrei von Friedrich Nietzsche

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Prinz Vogelfrei“ von Friedrich Nietzsche thematisiert die Sehnsucht nach Freiheit, Selbstbestimmung und der Ablehnung der konventionellen Lebensweise. Zu Beginn beschreibt der Sprecher ein Bild, in dem er als Vogel hoch über dem Meer schwebt und der Einladung eines anderen Vogels folgt. Das Fliegen wird als eine Art Befreiung von den Fesseln des normalen Lebens dargestellt, und der Vogel symbolisiert die Flucht vor den Begrenzungen der irdischen Existenz. Der Sprecher ist im Moment des Fluges vollständig im Hier und Jetzt, ohne Ziel und ohne Sorgen.

In der zweiten Strophe stellt der Sprecher das Streben nach einem strukturierten Leben infrage. Das Bild des „Schritt für Schritt“ macht deutlich, dass das rationale, methodische Voranschreiten als ermüdend und beschwerlich empfunden wird. Anstatt sich an das Leben in linearen, abgesteckten Bahnen zu halten, wählt der Sprecher die Leichtigkeit des Fliegens und das Hinterherjagen von anderen Vögeln, was die Freiheit und das Abheben von den gesellschaftlichen Normen symbolisiert. Der Vogel wird hier zur Metapher für das Streben nach Individualität und persönlicher Freiheit.

In der dritten Strophe setzt der Sprecher seine Ablehnung gegenüber der Vernunft fort. Vernunft und Sprache werden als hinderlich und beschwerlich dargestellt. Stattdessen hat das Fliegen ihm neue Kräfte gegeben und ihn in die Lage versetzt, sich der Freude an Gesang und Musik zu widmen, was Nietzsche als „schönere Geschäfte“ ansieht. Die Natur des Vogels wird als eine Art von Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit verstanden, die der rationalen Welt der Vernunft und des Diskurses entgegengesetzt wird.

Die abschließenden Zeilen bringen eine gewisse Ironie und Humor mit sich, indem der Sprecher in einer fast kindlichen Weise zum Kreise von Vögeln spricht. Das „Einsam zu denken“ wird als weise bezeichnet, während das „Einsam zu singen“ als „dumm“ gilt – ein Hinweis darauf, dass der wahre Ausdruck der Weisheit nicht in der Einsamkeit des Denkens, sondern in der Gemeinschaft und im gemeinsamen Gesang liegt. Der Kreis der Vögel symbolisiert eine Gemeinschaft von freien, ungebundenen Wesen, die zusammen feiern und die Freude am Leben teilen. Nietzsche fordert den Leser auf, sich von den Beschränkungen der Vernunft zu befreien und das Leben in seiner unbeschwerten und kreativen Form zu genießen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.