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Hyperions Schicksalslied

Von

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Hyperions Schicksalslied von Friedrich Hölderlin

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Hyperions Schicksalslied“ von Friedrich Hölderlin thematisiert den fundamentalen Gegensatz zwischen der Welt der Götter und dem Dasein der Menschen. Die Götter werden als „selige Genien“ beschrieben, die „droben im Licht“ wandeln und in einer zeitlosen, harmonischen Existenz verweilen. Sie leben in einem Zustand ewiger Ruhe und Unschuld, vergleichbar mit einem „schlafenden Säugling“, der von allen irdischen Lasten befreit ist. Der Geist der Himmlischen „blühet ewig“, was ihre unvergängliche Vollkommenheit unterstreicht.

Dem gegenüber steht das Schicksal der Menschen, die von Rastlosigkeit und Leiden geprägt sind. Während die Götter in „stiller / Ewiger Klarheit“ blicken, bleibt den Menschen kein Ort der Ruhe. Sie sind dem Wechsel der Zeit und dem Chaos des Lebens ausgeliefert. Die Bildsprache wird im zweiten Teil dramatisch: Die Menschen „fallen / Blindlings von einer / Stunde zur andern“, wie „Wasser von Klippe / Zu Klippe geworfen“, und stürzen „ins Ungewisse hinab“. Dieses Bild vermittelt die Unaufhaltsamkeit und Haltlosigkeit des menschlichen Schicksals.

Der Kontrast zwischen der göttlichen Sphäre und der menschlichen Welt ist scharf und schmerzlich. Während die Götter in einer von Schicksal unabhängigen Existenz verharren, ist das menschliche Leben von Vergänglichkeit und Orientierungslosigkeit geprägt. Hölderlin zeigt hier ein zentrales Motiv seiner Dichtung: das Sehnen nach einer verlorenen Harmonie, die der Mensch in der Fremdheit seiner Welt kaum mehr finden kann. „Hyperions Schicksalslied“ endet ohne Auflösung dieser Gegensätze, sondern verweilt in der melancholischen Einsicht der unüberwindbaren Trennung zwischen himmlischem Frieden und irdischem Leid.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.