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Hymne an die Muse

Von

Schwach zu königlichem Feierliede,
Schloß ich lang genug geheim und stumm
Deine Freuden, hohe Pieride!
In des Herzens stilles Heiligtum;
Endlich, endlich soll die Saite künden,
Wie von Liebe mir die Seele glüht,
Unzertrennbarer den Bund zu binden,
Soll dir huldigen dies Feierlied.

Auf den Höh’n, am ernsten Felsenhange,
Wo so gerne mir die Träne rann,
Säuselte die frühe Knabenwange
Schon dein zauberischer Othem an; –
Bin ich, Himmlische, der Göttergnaden,
Königin der Geister, bin ich wert,
Daß mich oft, des Erdetands entladen,
Dein allmächtiges Umarmen ehrt? –

Ha! vermöcht‘ ich nun, dir nachzuringen,
Königin! in deiner Götterkraft
Deines Reiches Grenze zu erschwingen,
Auszusprechen, was dein Zauber schafft! –
Siehe! die geflügelten Aeonen
Hält gebieterisch dein Othem an,
Deinem Zauber huldigen Dämonen,
Staub und Aether ist dir untertan.

Wo der Forscher Adlersblicke beben,
Wo der Hoffnung kühner Flügel sinkt,
Keimet aus der Tiefe Lust und Leben,
Wenn die Schöpferin vom Throne winkt;
Seiner Früchte Süßestes bereitet
Ihr der Wahrheit grenzenloses Land;
Und der Liebe schöne Quelle leitet
In der Weisheit Hain der Göttin Hand.

Was vergessen wallt an Lethes Strande,
Was der Enkel eitle Ware deckt,
Strahlt heran im blendenden Gewande,
Freundlich von der Göttin auferweckt;
Was in Hütten und in Heldenstaaten
In der göttergleichen Väter Zeit
Große Seelen duldeten und taten,
Lohnt die Muse mit Unsterblichkeit.

Sieh! am Dornenstrauche keimt die Rose,
So des Lenzes holder Strahl erglüht; –
In der Pieride Mutterschoße
Ist der Menschheit Adel aufgeblüht;
Auf des Wilden krausgelockte Wange
Drückt sie zauberisch den Götterkuß,
Und im ersten glühenden Gesange
Fühlt er staunend geistigen Genuß.

Liebend lächelt nun der Himmel nieder,
Leben atmen alle Schöpfungen,
Und im morgenrötlichen Gefieder
Nahen freundlich die Unsterblichen.
Heilige Begeisterung erbauet
In dem Haine nun ein Heiligtum,
Und im todesvollen Kampfe schauet
Der Heroë nach Elysium.

Öde stehn und dürre die Gefilde,
Wo die Blüten das Gesetz erzwingt;
Aber wo in königlicher Milde
Ihren Zauberstab die Muse schwingt,
Blühen schwelgerisch und kühn die Saaten,
Reifen, wie der Wandelsterne Lauf,
Schnell und herrlich Hoffnungen und Taten
Der Geschlechter zur Vollendung auf.

Laß der Wonne Zähre dir gefallen!
Laß die Seele des Begeisterten
In der Liebe Taumel überwallen!
Laß, o Göttin! laß mich huldigen! –
Siehe! die geflügelten Aeonen
Hält gebieterisch dein Othem an.
Deinem Zauber huldigen Dämonen –
Ewig bin auch ich dir untertan.

Mag der Pöbel seinen Götzen zollen,
Mag, aus deinem Heiligtum verbannt,
Deinen Lieblingen das Laster grollen,
Mag, in ihrer Schwäche Schmerz entbrannt,
Stolze Lüge deine Würde schänden,
Und dein Edelstes dem Staube weihn,
Mag sie Blüte mir und Kraft verschwenden,
Meine Liebe! – dieses Herz ist dein!

In der Liebe volle Lust zerflossen,
Höhnt das Herz der Zeiten trägen Lauf,
Stark und rein im Innersten genossen,
Wiegt der Augenblick Aeonen auf; –
Wehe! wem des Lebens schöner Morgen
Freude nicht und trunkne Liebe schafft,
Wem am Sklavenbande bleicher Sorgen
Zum Genusse Kraft und Mut erschlafft.

Deine Priester, hohe Pieride!
Schwingen frei und froh den Pilgerstab,
Mit der allgewaltigen Aegide
Lenkst du mütterlich die Sorgen ab;
Schäumend beut die zauberische Schale
Die Natur den Auserkornen dar,
Trunken von der Schönheit Göttermahle
Höhnet Glück und Zeit die frohe Schar.

Frei und mutig, wie im Siegesliede,
Wallen sie der edeln Geister Bahn,
Dein Umarmen, hohe Pieride!
Flammt zu königlichen Taten an; –
Laßt die Mietlinge den Preis erspähen!
Laßt sie seufzend für die Tugenden,
Für den Schweiß am Joche Lohn erflehen!
Mut und Tat ist Lohn den Edleren!

Ha! von ihr, von ihr emporgehoben
Blickt dem Ziele zu der trunkne Sinn –
Hör es, Erd‘ und Himmel! wir geloben,
Ewig Priestertum der Königin!
Kommt zu süßem brüderlichem Bunde,
Denen sie den Adel anerschuf,
Millionen auf dem Erdenrunde!
Kommt zu neuem seligem Beruf!

Ewig sei ergrauter Wahn vergessen!
Was der reinen Geister Aug ermißt,
Hoffe nie die Spanne zu ermessen! –
Betet an, was schön und herrlich ist!
Kostet frei, was die Natur bereitet,
Folgt der Pieride treuen Hand,
Geht, wohin die reine Liebe leitet,
Liebt und sterbt für Freund und Vaterland!

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Gedicht: Hymne an die Muse von Friedrich Hölderlin

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Hymne an die Muse“ von Friedrich Hölderlin ist ein feierliches Bekenntnis zur inspirierenden und schöpferischen Kraft der Muse, die als göttliche Quelle von Kunst, Weisheit und Begeisterung verehrt wird. Das lyrische Ich beschreibt seine tiefe Verehrung für die Muse und betont die Bedeutung der poetischen Inspiration für den Menschen und die gesamte Schöpfung.

Hölderlin zeichnet die Muse als „Königin der Geister“ und „Schöpferin vom Throne“, die die Macht besitzt, Chaos in Harmonie zu verwandeln und die Grenzen der Zeit und der Natur zu überschreiten. Sie steht für die Verbindung von Geist und Natur, für die Quelle der Kunst und des Schöpferischen. Die Muse wirkt nicht nur auf das Individuum, sondern auf die ganze Menschheit, indem sie „das Entzweite vereint“ und das „Chaos der Zeit“ besänftigt. Diese Idee spiegelt Hölderlins zentrales Motiv der Versöhnung von Gegensätzen wider.

Das Gedicht entfaltet zudem das Bild der Muse als Vermittlerin zwischen Himmel und Erde. In ihrer Gegenwart blüht der Mensch „im ersten glühenden Gesange“ auf, fühlt sich dem Göttlichen näher und erlangt durch den „Götterkuss“ der Muse geistigen Genuss. Die Muse erhebt das Menschliche über das Alltägliche hinaus, indem sie es mit Unsterblichkeit belohnt: „Was in Hütten und in Heldenstaaten […] duldeten und taten“, wird durch sie für die Ewigkeit bewahrt.

Im weiteren Verlauf wird die Muse zur Anführerin der „edeln Geister“, die mit Begeisterung, Mut und Freiheit durch das Leben schreiten. Die Hymne hebt sich ab von einer bloß passiven Anbetung der Kunst; vielmehr ruft sie zu aktivem, heroischem Handeln auf, inspiriert von der Muse. Diese „Priester“ der Muse leben für Ideale wie Freundschaft, Vaterland und Schönheit und lehnen den „Pöbel“ ab, der nur nach äußerem Lohn strebt.

Am Ende ruft das Gedicht zu einem gemeinsamen „Priestertum der Königin“ auf, zu einer weltumspannenden Gemeinschaft derer, die den höheren Werten folgen. Der Schlussakkord ist ein leidenschaftlicher Appell an die Menschheit, die „reine Liebe“ und das Schöne zu verehren, der Muse treu zu bleiben und für höhere Ideale zu leben und zu sterben. Damit wird Hölderlins Muse zur Verkörperung des schöpferischen Geistes, der das Leben adelt und die Welt veredelt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.