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Der Spaziergang

Von

Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemalt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruh bezahlt
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Den Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Ihr lieblichen Bilder im Tale,
Zum Beispiel Gärten und Baum,
Und dann der Steg, der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt einem das herrliche Bild
Der Landschaft, die ich gerne
Besuch‘ in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Uns erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blitzen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.

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Gedicht: Der Spaziergang von Friedrich Hölderlin

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Spaziergang“ von Friedrich Hölderlin entfaltet eine tiefgründige Reflexion über die Beziehung zwischen Mensch, Natur und der künstlerischen Wahrnehmung. Es beschreibt eine Wanderung durch eine idyllische Landschaft, die dem lyrischen Ich sowohl Trost als auch leidvolle Erfahrungen bietet. Die Natur wird in ihrer ganzen Vielfalt dargestellt, sowohl in Momenten der Ruhe als auch in den dramatischen Wendungen, die sie durchlebt.

Im ersten Teil des Gedichts beschreibt Hölderlin die Natur als einen Ort der Ruhe und Erneuerung. Die „Wälder“ und „grünen Abhänge“ sind für das lyrische Ich ein Rückzugsort, an dem es sich von den inneren Schmerzen des Herzens erholen kann. Der „Stachel im Herzen“ und die „dunklen“ Momente im „Sinn“ symbolisieren die inneren Konflikte und das Leiden des Menschen, das durch die Konfrontation mit der Schönheit der Natur in gewisser Weise „bezahlt“ wird – als eine Form der Heilung und der geistigen Erhebung.

Der zweite Teil des Gedichts vertieft die Beschreibung der Landschaft, indem er „lieblichen Bilder im Tale“ hinzufügt – Gärten, Bäume und ein schmaler Steg, der den Bach kaum sichtbar macht. Diese Szenen aus der Natur bieten dem lyrischen Ich eine ästhetische Erhebung, die „aus heiterer Ferne“ erscheint und in „Witterung mild“ glänzt. Die Ferne der Landschaft verstärkt die Schönheit und den Frieden, der im Einklang mit der Natur gefunden wird. Doch diese Idylle ist nicht von Dauer.

Im letzten Abschnitt des Gedichts wandelt sich das Bild der Natur: An die milde Schönheit der Landschaft tritt das dramatische Schauspiel von „Wolken“, „Blitzen“, „Rollen des Donners“ und der „Sengenden“ Witterung. Diese plötzliche Wendung von Ruhe zu Sturm symbolisiert die unbeständige und komplexe Natur des Lebens selbst, in dem sowohl Schönheit als auch Zerstörung, Ruhe und Unruhe zusammen existieren. Der Gedichtschluss verweist auf die „Gottheit“, die das menschliche Leben und die Natur lenkt, sowohl in ihren friedlichen als auch in ihren zerstörerischen Momenten.

Hölderlin stellt hier die Natur als ein komplexes Zusammenspiel von Ruhe und Aufruhr dar, das nicht nur äußerliche Schönheit, sondern auch tiefere existenzielle Fragen aufwirft. Der „ursprüngliche Bild“ ist dabei der Quell allen Schaffens – sowohl in der Natur als auch in der Kunst, die diese Natur in ihrer ganzen Fülle und Komplexität widerspiegelt. Das Gedicht ist eine Ode an die Fähigkeit des Menschen, in der Natur sowohl Trost zu finden als auch sich mit den existenziellen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.