Der Herbst
Die Sagen, die der Erde sich entfernen,
Vom Geiste, der gewesen ist und wiederkehret,
Sie kehren zu der Menschheit sich, und vieles lernen
Wir aus der Zeit, die eilends sich verzehret.
Die Bilder der Vergangenheit sind nicht verlassen
Von der Natur, als wie die Tag‘ verblassen
Im hohen Sommer, kehrt der Herbst zur Erde nieder,
Der Geist der Schauer findet sich am Himmel wieder.
In kurzer Zeit hat vieles sich geendet,
Der Landmann, der am Pfluge sich gezeiget,
Er siehet, wie das Jahr sich frohem Ende neiget,
In solchen Bildern ist des Menschen Tag vollendet.
Der Erde Rund mit Felsen ausgezieret
Ist wie die Wolke nicht, die abends sich verlieret,
Es zeiget sich mit einem goldnen Tage,
Und die Vollkommenheit ist ohne Klage.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Herbst“ von Friedrich Hölderlin reflektiert die Vergänglichkeit der Zeit, die Zyklen der Natur und den Übergang zwischen den Jahreszeiten. Zu Beginn wird die Entfremdung der Sagen von der Erde thematisiert, was als ein symbolischer Hinweis auf den Verlust des ursprünglichen Verstehens von Natur und Geist gesehen werden kann. Hölderlin stellt fest, dass die „Sagen“ des Lebens von einem höheren „Geist“ geprägt sind, der jedoch mit der Zeit immer wiederkehrt und den Menschen neue Einsichten bringt. Die Zeilen deuten darauf hin, dass die Vergangenheit und ihre Geschichten uns immer noch etwas lehren, auch wenn die Zeit fortschreitet und sich verändert.
Der Herbst als zentrale Metapher des Gedichts steht für einen Übergang, sowohl in der Natur als auch im Leben des Menschen. In den Zeilen „Der Geist der Schauer findet sich am Himmel wieder“ wird der Herbst nicht nur als eine Jahreszeit beschrieben, sondern als eine Zeit, in der der menschliche Geist, wie die Natur, in einem Zustand der Veränderung und Reflexion ist. Der Herbst bringt nicht nur das Ende des Sommers mit sich, sondern auch eine gewisse Tiefe und Reife, die mit den „Bildern der Vergangenheit“ verbunden ist. In dieser Zeit des Übergangs kehrt der Geist der Vergangenheit zurück, was sowohl eine Rückbesinnung auf die Tradition als auch ein Voranschreiten zur Erkenntnis darstellt.
Der „Landmann“ und sein „Pflug“ sind ein weiteres Symbol für den Verlauf der Zeit und des Lebens. Der Landmann sieht, wie sich das Jahr „frohen Endes neiget“, was die Unausweichlichkeit der Vergänglichkeit der Natur und des menschlichen Lebens betont. In diesem Bild wird der Herbst als Zeit des Erntezyklus dargestellt, in der der Mensch die Früchte seiner Arbeit und die Endlichkeit des Jahres erkennt. Der Herbst als Symbol für das Ende des Lebenszyklus wird hier auch als eine Zeit der Vollendung und des Abschieds von einem natürlichen Kreislauf dargestellt.
Das Gedicht schließt mit der Darstellung der Erde, die „mit Felsen ausgezieret“ und der goldene Tag des Herbstes, der „die Vollkommenheit ohne Klage“ zeigt. Hier wird die Harmonie und Schönheit des Herbstes als etwas vollkommenes dargestellt, das ohne Widerstand oder Leid existiert. Die Natur zeigt sich in ihrer vollen Pracht und vollendet sich in einer Art Frieden, der die Endlichkeit des Lebens nicht nur als Verlust, sondern als einen natürlichen, friedlichen Abschluss des Zyklus begreift. In dieser Perspektive wird die Vergänglichkeit als eine harmonische und wesentliche Komponente des natürlichen und menschlichen Daseins verstanden, die zur Vollkommenheit führt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.