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Unsre Sprache

Von

An der Höhe, wo der Quell der Barden in das Tal
Sein fliegendes Getöne, mit Silber bewölkt,
Stürzet, da erblickt‘ ich, zeug‘ es, Hain!
Die Göttin! sie kam zu dem Sterblichen herab!

Und mit Hoheit in der Miene stand sie! und ich sah
Die Geister um sie her, die, den Liedern entlockt,
Täuschen, ihr Gebild. Die Wurdis Dolch
Unschuldige traf, die begleiteten sie fern,

Wie in Dämmrung; und die Skuldas mächtigerer Stab
Errettete, die schwebten umher in Triumph,
Schimmernd, um die Göttin, hatten stolz
Mit Laube der Eiche die Schläfe sich bekränzt!

Den Gedanken, die Empfindung, treffend, und mit Kraft,
Mit Wendungen der Kühnheit, zu sagen! das ist,
Sprache des Thuiskon, Göttin, dir,
Wie unseren Helden Eroberung, ein Spiel!

O Begeistrung! Sie erhebt sich! Feurigeren Blicks
Ergießet sich ihr Auge, die Seel‘ in der Glut!
Ströme! denn du schonest des umsonst,
Der, leer des Gefühls, den Gedanken nicht erreicht!

Wie sie herschwebt an des Quells Fall! Mächtiges Getön,
Wie Rauschen in den Nächten des Walds ist ihr Schwung!
Draußen im Gefilde braust der Sturm!
Gern höret der Wandrer das Rauschen in dem Wald!

Wie sie schwebet an der Quelle! Sanfteres Getön,
Wie Wehen in dem tieferen Wald ist ihr Schwung.
Draußen im Gefilde braust der Sturm!
Gern höret im Walde der Wanderer das Wehn‘.

So erscholl mir’s von der Telyn Saite, wie im Flug.
Mich dauchte, dass die Göttin mit Lächeln auf mich
Blickte: da durchströmt‘ es all mein Blut
Mit Feuer, und Röte, wie jugendlicher Tanz,

In dem Frühlinge getanzt glühte mir herauf
Die Wange! Ihr Begleiter! ihr Geister! so rief
Eiliger ich aus, ihr saht den Blick
Der Göttin, sie lächelt! Ihr Genien, ihr sahts!

O des Zaubers, den sie jetzo zaubert! Er gebeut;
Die Geister der Gesänge gesungen durch mich
Kommen, ihr Gebild, und haben stolz
Mit heiligem Laube die Schläfe sich bekränzt,

Mit dem jüngsten aus den Hainen! Hebe doch der Dolch
Der Norne sich! Er fehlt sie! Die Göttin hat sie
Schirmend, auf der Bahn des schweren Gangs
Des kühnen, hinauf zu Unsterblichkeit geführt!

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Gedicht: Unsre Sprache von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Unsre Sprache“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist eine hymnische und visionäre Feier der deutschen Sprache, die hier in fast mythischer Erhabenheit dargestellt wird. Klopstock stilisiert die Sprache als „Göttin“, als inspirierende, ja überirdische Kraft, die dem Dichter in einem ekstatischen Moment der Offenbarung erscheint. Die Sprache wird nicht als bloßes Kommunikationsmittel verstanden, sondern als lebendige, schöpferische Macht – als Ursprung dichterischen Genies und Ausdruck innerster Empfindung.

Die Szenerie des Gedichts ist durchdrungen von Symbolik und Naturmetaphorik: An einer Quelle, einem klassischen Ort der Inspiration, erscheint dem lyrischen Ich die Göttin der Sprache, umgeben von Geistern, Genien und mythischen Figuren wie Wurdis und Skulda – Anspielungen auf nordische Schicksalsmächte. Diese umgeben sie in triumphaler Begleitung, wobei Klopstock zwischen Licht- und Schattenfiguren unterscheidet: Einige tragen Schuld (Wurdis Dolch), andere wurden gerettet (Skuldas Stab). Die Göttin selbst erscheint erhaben und unberührt, ein Ideal reiner Inspiration.

Ein zentrales Thema des Gedichts ist die Macht der Sprache, Gedanken und Empfindungen „treffend, und mit Kraft“ auszudrücken. Sprache wird zur Heldentat erhoben, gleichgestellt mit den Eroberungen der antiken Krieger. Diese metaphorische Gleichsetzung betont, wie sehr Klopstock die dichterische Ausdruckskraft als etwas Heroisches, fast Göttliches begreift. Die Begeisterung, das „Feuer“ des Dichters, ist dabei die Voraussetzung, um Zugang zur Sprache in ihrer reinsten Form zu erhalten – wer leer an Gefühl ist, bleibt ausgeschlossen.

Der Klang der Sprache wird durch wiederholte Naturvergleiche illustriert: Mal ist er „wie Rauschen in den Nächten des Walds“, mal „wie Wehen in dem tieferen Wald“. Diese lautmalerische Beschreibung unterstreicht die sinnliche Qualität der Sprache, ihren Ursprung im Natürlichen und zugleich Erhabenen. Der Wanderer, der diese Töne hört, steht stellvertretend für den empfänglichen Dichter, der im inneren Einklang mit dieser Sprache lebt.

Am Ende gipfelt das Gedicht in einem Moment der göttlichen Bestätigung: Die Sprache, die Göttin, lächelt dem Sprecher zu, wodurch dieser mit Begeisterung und Erfüllung durchdrungen wird. Es ist der poetische Ritterschlag – das lyrische Ich fühlt sich von den Geistern des Gesangs begleitet und von der Göttin selbst geführt „hinauf zu Unsterblichkeit“. Damit beschreibt Klopstock nicht nur eine persönliche Dichtungserfahrung, sondern erhebt das dichterische Schaffen insgesamt zum göttlich legitimierten, beinahe religiösen Akt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.