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Kennet euch selbst

Von

Frankreich schuf sich frey. Des Jahrhunderts edelste That hub
Da sich zu dem Olympus empor!
Bist du so eng begränzt, dass du sie verkennest, umschwebet
Diese Dämmerung dir noch den Blick,
Diese Nacht: so durchwandre die Weltannalen, und finde
Etwas darin, das ihr ferne nur gleicht,
Wenn du kanst. O Schicksal! das sind sie also, das sind sie
Unsere Brüder die Franken; und wir?
Ach ich frag‘ umsonst; ihr verstummet, Deutsche! Was zeiget
Euer Schweigen? bejahrter Geduld
Müden Kummer? oder verkündet es nahe Verwandlung?
Wie die schwüle Stille den Sturm,
Der vor sich her sie wirbelt, die Donnerwolken, bis Glut sie
Werden, und werden Zerschmetterndes Eis!
Nach dem Wetter, athmen sie kaum die Lüfte, die Bäche
Rieseln, vom Laube träufelt es sanft,
Frische labet, Gerüch‘ umduften, die bläuliche Heitre
Lächelt, das Himmelsgemählde mit ihr;
Alles ist reg‘, und ist Leben, und freut sich! die Nachtigall flötet
Hochzeit! liebender singet die Braut!
Knaben umtanzen den Mann, den kein Despot mehr verachtet!
Mädchen das ruhige, säugende Weib.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Kennet euch selbst von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kennet euch selbst“ von Friedrich Gottlieb Klopstock beschäftigt sich mit der Idee der Freiheit und Selbstverwirklichung, wobei es die historischen und sozialen Kontexte von Frankreich und Deutschland kontrastiert. Der erste Teil des Gedichts bezieht sich auf die Freiheitsbewegung in Frankreich, die als eine der „edelsten Taten des Jahrhunderts“ dargestellt wird. Frankreich hat sich durch die Revolution „frei“ geschaffen und strebt empor, was auf das Streben nach einer besseren, gleichberechtigten Gesellschaft hinweist. Diese „Edelste Tat“ hebt die französische Revolution als einen Moment hervor, in dem das Land aus seiner Unterdrückung emporstieg und das Bild des Olymp als Symbol für das Erreichen eines höheren, edleren Zustands verwendet wird.

Der Dichter richtet sich dann an die Deutschen und stellt fest, dass sie die Größe der französischen Tat möglicherweise nicht erkennen, weil sie von einer „Dämmerung“ und „Nacht“ umgeben sind, die ihren Blick vernebelt. Diese Metaphern für Unklarheit und Ignoranz deuten darauf hin, dass das deutsche Volk in einer Art geistiger oder politischer Blindheit verharrt, die es ihnen schwer macht, die Revolution und den Fortschritt, den Frankreich erreicht hat, zu verstehen oder nachzuvollziehen. Klopstock fordert die Deutschen heraus, die Weltgeschichte zu durchwandern und nach etwas zu suchen, das der französischen Revolution auch nur entfernt ähnlich ist. Dies weist auf die politische Erstarrung und den Mangel an Veränderung in Deutschland hin.

Die nächste Frage des Gedichts, ob das Schweigen der Deutschen „bejahrte Geduld“ oder „nahe Verwandlung“ anzeigt, ist eine rhetorische Anklage. Klopstock fragt, ob das Schweigen der Deutschen auf eine passive Akzeptanz des bestehenden Zustands hinweist oder ob es den Beginn eines bevorstehenden Wandels markiert. Diese Ambivalenz zwischen Stagnation und möglichem Aufbruch wird mit der Naturmetapher des Sturms und der nachfolgenden Ruhe verglichen: „Wie die schwüle Stille den Sturm“. Diese Passage beschreibt eine innere Spannung und das Gefühl, dass sich eine Veränderung anbahnt, die schließlich eine größere Zerstörung oder Transformation mit sich bringen könnte.

In der letzten Strophe wird die Nachwirkung dieses „Sturms“ mit einem harmonischen Bild von Natur und Leben dargestellt. Nach der Zerstörung folgt die Ruhe, und die Welt erblüht in Frische und Freude. Die „Nachtigall flötet Hochzeit!“ symbolisiert das Aufblühen von Liebe und Hoffnung, während die Gesellschaft in einer friedlicheren, gleichberechtigteren Form existiert. Der Dichter stellt eine idealisierte Zukunft dar, in der die Gesellschaft – repräsentiert durch den „Mann, den kein Despot mehr verachtet“ und das „ruhige, säugende Weib“ – von Freiheit und Liebe erfüllt ist. In dieser friedlichen Welt tanzen die Menschen um einen Mann, der nicht mehr unterdrückt wird, und Mädchen umgeben das Weib, das in Ruhe und Fürsorge lebt. Klopstock malt hier eine Utopie der Freiheit und des friedlichen Zusammenlebens, die als Ziel für das deutsche Volk und die gesamte Menschheit dienen soll.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.