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Die Frühlingsfeier

Von

Nicht in den Ozean der Welten alle
Will ich mich stürzen! schweben nicht,
Wo die ersten Erschafnen, die Jubelchöre der Söhne des Lichts,
Anbeten, tief anbeten! und in Entzückung vergehn!

Nur um den Tropfen am Eimer,
Um die Erde nur, will ich schweben, und anbeten!
Halleluja! Halleluja! Der Tropfen am Eimer
Rann aus der Hand des Allmächtigen auch!

Da der Hand des Allmächtigen
Die grösseren Erden entquollen!
Die Ströme des Lichts rauschten, und Siebengestirne wurden,
Da entrannest du, Tropfen, der Hand des Allmächtigen!

Da ein Strom des Lichts rauscht‘, und unsre Sonne wurde!
Ein Wogensturz sich stürzte wie vom Felsen
Der Wolk‘ herab und den Orion gürtete,
Da entrannest du, Tropfen, der Hand des Allmächtigen!

Wer sind die tausendmal tausend, wer die Myriaden alle,
Welche den Tropfen bewohnen, und bewohnten? und wer bin ich?
Halleluja dem Schaffenden! mehr wie die Erden, die quollen!
Mehr, wie die Siebengestirne, die aus Strahlen zusammenströmten!

Aber du Frühlingswürmchen,
Das grünlichgolden neben mir spielt,
Du lebst; und bist vielleicht
Ach nicht unsterblich!

Ich bin heraus gegangen anzubeten,
Und ich weine? Vergieb, vergieb
Auch diese Thräne dem Endlichen,
O du, der seyn wird!

Du wirst die Zweifel alle mir enthüllen,
O du, der mich durch das dunkle Thal
Des Todes führen wird! Ich lerne dann,
Ob eine Seele das goldene Würmchen hatte.

Bist du nur gebildeter Staub,
Sohn des Mays, so werde denn
Wieder verfliegender Staub,
Oder was sonst der Ewige will!

Ergeuss von neuem du, mein Auge,
Freudenthränen!
Du, meine Harfe,
Preise den Herrn!

Umwunden wieder, mit Palmen
Ist meine Harf‘ umwunden! ich singe dem Herrn!
Hier steh ich. Rund um mich
Ist Alles Allmacht! und Wunder Alles!

Mit tiefer Ehrfurcht schau ich die Schöpfung an,
Denn Du!
Namenloser, Du!
Schufest sie!

Lüfte, die um mich wehn, und sanfte Kühlung
Auf mein glühendes Angesicht hauchen,
Euch, wunderbare Lüfte,
Sandte der Herr! der Unendliche!

Aber jetzt werden sie still, kaum athmen sie.
Die Morgensonne wird schwül!
Wolken strömen herauf!
Sichtbar ist, der komt, der Ewige!

Nun schweben sie, rauschen sie, wirbeln die Winde
Wie beugt sich der Wald! wie hebt sich der Strom!
Sichtbar, wie du es Sterblichen seyn kanst,
Ja, das bist du, sichtbar, Unendlicher!

Der Wald neigt sich, der Strom fliehet, und ich
Falle nicht auf mein Angesicht?
Herr! Herr! Gott! barmherzig und gnädig!
Du Naher! erbarme dich meiner!

Zürnest du, Herr,
Weil Nacht dein Gewand ist?
Diese Nacht ist Segen der Erde
Vater, du zürnest nicht!

Sie komt, Erfrischung auszuschütten,
Über den stärkenden Halm!
Über die herzerfreuende Traube!
Vater, du zürnest nicht!

Alles ist still vor dir, du Naher!
Rings umher ist alles still!
Auch das Würmchen mit Golde bedeckt, merkt auf!
Ist es vielleicht nicht seelenlos? ist es unsterblich?

Ach, vermöcht‘ ich dich, Herr, wie ich dürste, zu preisen!
Immer herlicher offenbarest du dich!
Immer dunkler wird die Nacht um dich,
Und voller von Segen!

Seht ihr den Zeugen des Nahen den zückenden Strahl?
Hört ihr Jehova’s Donner?
Hört ihr ihn? hört ihr ihn,
Den erschütternden Donner des Herrn?

Herr! Herr! Gott!
Barmherzig, und gnädig!
Angebetet, gepriesen
Sey dein herlicher Name!

Und die Gewitterwinde? sie tragen den Donner!
Wie sie rauschen! wie sie mit lauter Woge den Wald durchströmen!
Und nun schweigen sie. Langsam wandelt
Die schwarze Wolke.

Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen, den fliegenden Strahl?
Höret ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn?
Er ruft: Jehova! Jehova!
Und der geschmetterte Wald dampft!

Aber nicht unsre Hütte!
Unser Vater gebot
Seinem Verderber,
Vor unsrer Hütte vorüberzugehn!

Ach, schon rauscht, schon rauscht
Himmel, und Erde vom gnädigen Regen!
Nun ist, wie dürstete sie! die Erd‘ erquickt,
Und der Himmel der Segensfüll‘ entlastet!

Siehe, nun komt Jehova nicht mehr im Wetter,
In stillem, sanftem Säuseln
Kömmt Jehova,
Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Frühlingsfeier von Friedrich Gottlieb Klopstock

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Frühlingsfeier“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist ein erhabener Hymnus auf die Schöpfung, das Staunen über Gottes Größe und die tiefe, persönliche Ergriffenheit des lyrischen Ichs angesichts der göttlichen Allmacht. In einer Mischung aus Andacht, Naturbeobachtung und metaphysischer Reflexion wird der Frühling – als Sinnbild göttlicher Lebenskraft – zum Anlass einer spirituellen Ekstase, die sich in einem Wechselspiel von Staunen, Demut, Furcht und Dankbarkeit äußert.

Im Zentrum steht das Spannungsverhältnis zwischen der unermesslichen Größe des Universums und der scheinbaren Bedeutungslosigkeit der Erde, die vom Sprecher als „Tropfen am Eimer“ bezeichnet wird. Doch gerade in dieser Kleinheit zeigt sich für Klopstock die Majestät Gottes: Der gleiche Gott, der Sonnen und Sternbilder erschuf, hat auch diesen „Tropfen“ gewollt – und damit jedes Leben auf ihm mit Sinn erfüllt. Diese Vorstellung führt zu einem tiefen Gefühl von Demut und zugleich zu einem machtvollen Lobpreis Gottes.

Eine besondere poetische Intensität erreicht das Gedicht in der Reflexion über das „Frühlingswürmchen“, das spielerisch neben dem Sprecher lebt. In dieser scheinbar unscheinbaren Kreatur stellt sich die große Frage nach der Seele, nach Unsterblichkeit, nach dem Wert des Lebens – und offenbart Klopstocks pietistische Grundhaltung: Die Ehrfurcht vor allem Geschaffenen, auch dem Kleinsten, als Spiegel des Schöpfers. Die Träne des lyrischen Ichs wird nicht als Schwäche, sondern als Ausdruck tiefer Erkenntnis gewertet.

Ein weiterer Höhepunkt ist die Inszenierung eines Gewitters als Erscheinung Gottes. Donner, Sturm und Wolken sind hier keine bloßen Naturphänomene, sondern Zeichen der göttlichen Nähe. In diesem Moment scheint sich das Transzendente zu offenbaren – gewaltig, furchterregend und dennoch gnädig. Klopstock greift hier auf die alttestamentliche Theophanie zurück, besonders auf die Darstellung Gottes in Feuer, Donner und Wind, wie sie etwa im 1. Buch der Könige zu finden ist.

Am Ende verwandelt sich der Sturm in Stille. Gottes Stimme spricht nun im „sanften Säuseln“ – ein Bild für Frieden, Versöhnung und Gnade. Der Regen segnet die dürstende Erde, und der Regenbogen erscheint als Symbol des göttlichen Bundes. So schließt das Gedicht in einem Zustand heiliger Ruhe und versöhnter Weltordnung. „Die Frühlingsfeier“ ist somit nicht nur eine Feier des Frühlings, sondern ein dichterischer Gottesdienst: ein Ausdruck tiefster Religiosität, ein Bekenntnis zum Staunen und zur Dankbarkeit im Angesicht des Erhabenen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.