An Cidli
Unerforschter, als sonst etwas den Forscher täuscht,
Ist ein Herz, das die Lieb‘ empfand,
Sie, die wirklicher Werth, nicht der vergängliche
Unsers dichtenden Traums gebahr,
Jene trunkene Lust, wenn die erweinete,
Fast zu selige Stunde komt,
Die dem Liebenden sagt, dass er geliebet wird!
Und zwo bessere Seelen nun
Ganz, das erstemal ganz, fühlen, wie sehr sie sind!
Und wie glücklich! wie ähnlich sich!
Ach, wie glücklich, dadurch! Wer der Geliebten spricht
Diese Liebe mit Worten aus?
Wer mit Thränen? und wer mit dem verweilenden
Vollen Blick, und der Seele drin?
Selbst das Trauren ist süss, das sie verkündete,
Eh die selige Stunde kam!
Wenn diess Trauren umsonst Eine verkündete;
O dann wählte die Seele falsch,
Und doch würdig! Das webt keiner der Denker auf,
Was vor Irren sie damals ging!
Selbst der kennt sie nicht ganz, welcher sie wandelte,
Und verspäht sich nur weniger.
Leise redets darin: Weil du es würdig warst,
Dass du liebtest, so lehrten wir
Dich die Liebe. Du kennst alle Verwandlungen
Ihres mächtigen Zauberstabs!
Ahm den Weisen nun nach: Handle! die Wissenschaft,
Sie nur, machte nie Glückliche!
Ich gehorche. Das Thal, (Eden nur schattete,
Wie es schattet,) der Lenz im Thal
Weilt dich! Lüfte, wie die, welche die Himlischen
Sanft umathmen, umathmen dich!
Rosen knospen dir auf, dass sie mit süssem Duft
Dich umströmen! dort schlummerst du!
Wach, ich werfe sie dir leis‘ in die Locken hin,
Wach vom Thaue der Rosen auf.
Und (noch bebt mir mein Herz, lange daran verwöhnt,)
Und o wache mir lächelnd auf!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An Cidli“ von Friedrich Gottlieb Klopstock ist eine poetische Liebeserklärung von hoher Emotionalität und gedanklicher Tiefe. Cidli war Klopstocks Verlobte und spätere Ehefrau Margaretha Moller, der er eine Reihe von Gedichten widmete. In diesem Text reflektiert das lyrische Ich die Erfahrungen echter, tief empfundener Liebe, die sich über bloße Schwärmerei oder romantische Illusion erhebt und als existenzielles Erleben geschildert wird. Die Liebe wird dabei nicht nur als Gefühl, sondern als eine Form von Erkenntnis und seelischer Vollendung verstanden.
Gleich zu Beginn hebt der Sprecher hervor, wie „unerforscht“ das liebende Herz bleibt – selbst für den, der forschen und verstehen will. Die wahre Liebe ist etwas, das sich der Analyse entzieht und nur in Momenten unmittelbarer, gegenseitiger Erkenntnis erfahrbar wird: Wenn zwei Seelen „ganz, das erstemal ganz“ fühlen, wie sehr sie sind – wie sehr sie existieren durch- und füreinander. Das ist für Klopstock der Gipfel des Menschseins, eine beinahe metaphysische Erhebung.
Der Versuch, diese Liebe auszudrücken – mit Worten, mit Tränen oder mit Blicken – stößt an Grenzen. Das Gedicht thematisiert die Sprachlosigkeit angesichts des höchsten Gefühls, das der Mensch erleben kann. Selbst das traurige Sehnen vor der Liebeserfüllung wird als süß erlebt – eine Vorahnung der wahren Liebe. Wenn jedoch die Hoffnung trügt und keine Erwiderung erfolgt, so war die Liebe dennoch nicht vergeblich: Denn sie adelt den, der sie empfand. In diesem Gedanken klingt eine tief romantische Vorstellung an – dass auch der Schmerz der Liebe wertvoll und sinnstiftend sein kann.
Im zweiten Teil des Gedichts wechselt Klopstock von der Reflexion zur Vergegenwärtigung eines Liebesbildes. In zarten, beinahe sakralen Naturbildern beschreibt er, wie die Geliebte in einem idealisierten Tal schläft, während er ihr Rosen in die Locken legt. Diese Szene wirkt wie ein Moment zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Diesseits und Jenseits – durchdrungen von Andacht, Sinnlichkeit und zärtlicher Hoffnung. Die Bitte, sie möge „lächelnd aufwachen“, ist Ausdruck innigster Liebe, vielleicht auch der Wunsch nach seelischer oder sogar himmlischer Wiedervereinigung.
„An Cidli“ ist ein zutiefst persönliches, zugleich philosophisches Liebesgedicht. Es verbindet auf einzigartige Weise Gefühl und Reflexion, Sinnlichkeit und Spiritualität. Klopstock entwirft darin ein Ideal der Liebe, das weit über körperliches Begehren hinausgeht – als innere Verwandlung, als Erweckung der Seele und als Glück, das auch durch Leid hindurch seine Wahrheit bewahrt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.