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Wanderlied

Von

Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh‘,
Schöne Damen, liebe Herrn
Kaufet freundlich, kaufet gern,
Brauch’s auf Brot, und brauch’s auf Bier,
Und das gönnt ihr sicher mir.

Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh‘,
In der Kälte, in der Glut,
Keiner meiner Füße ruht,
Such‘ am Herde einen Platz,
Finde keinen, keinen Schatz.

Schöne Damen, liebe Herrn
Kaufet freundlich, kaufet gern,
Komm aus fernem Lande her
Und dem Fremdling wird’s so schwer:
Türe auf, Türe zu,
Niemals Rast, niemals Ruh‘!

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Gedicht: Wanderlied von Friederike Kempner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wanderlied“ von Friederike Kempner vermittelt in einfacher, fast liedhafter Form die Lebenswirklichkeit eines fahrenden Händlers oder einer wandernden Gestalt, die von Ort zu Ort zieht, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Wiederholung und Rhythmus verleihen dem Text eine eindringliche Klangstruktur, die das Thema von Unrast und Entwurzelung unterstreicht.

Der durchgehende Refrain „Türe auf, Türe zu, / Niemals Rast, niemals Ruh‘“ bildet das Rückgrat des Gedichts. Er bringt das zentrale Motiv der Rastlosigkeit auf den Punkt: Die Türen der Häuser öffnen und schließen sich, doch ein wirkliches Ankommen oder Bleiben ist dem lyrischen Ich verwehrt. Die Wiederholung dieser Zeilen verstärkt das Gefühl von Ausgeschlossenheit und ständiger Bewegung – nicht aus Abenteuerlust, sondern aus Notwendigkeit.

In den mittleren Strophen wird das wirtschaftliche und soziale Elend des lyrischen Ichs deutlich. Die höfliche Bitte an „schöne Damen“ und „liebe Herrn“, etwas zu kaufen, bringt die Abhängigkeit von der Gunst anderer zum Ausdruck. Die genannten alltäglichen Bedürfnisse – „Brot“ und „Bier“ – zeigen, wie existenziell der Verkauf für das Überleben ist. Auch körperliche Belastung und das Fehlen von Schutz („In der Kälte, in der Glut“) werden klar benannt, ebenso wie die vergebliche Suche nach einem warmen, sicheren Ort.

Die letzte Strophe führt das Thema der Fremdheit ein: Das lyrische Ich kommt „aus fernem Lande“, was auf Migration oder Außenseitertum hinweist. Die Erfahrung des Fremdseins wird als zusätzliche Last empfunden – „dem Fremdling wird’s so schwer“. So schließt das Gedicht mit dem bekannten Refrain und betont damit ein letztes Mal die Ausweglosigkeit dieses Lebens zwischen fremden Türen und unermüdlicher Wanderung. Kempner zeichnet hier ein eindringliches soziales Porträt, das Mitgefühl wecken soll, ohne je in Klage oder Sentimentalität zu verfallen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.