Ich weiß eine große Geschichte,
Die Meisten fühlen sie nur:
Das Leben ist ein Gedichte,
– Und oft eine schwere Kur. –
Verschieden sind ja Gedichte,
Das eine rosig und licht,
Das andere hat Bleigewichte,
Und macht ein bittres Gesicht.
Ich weiß eine große Geschichte,
Die Meisten fühlen sie nur:
Das Leben ist ein Gedichte,
– Und oft eine schwere Kur. –
Verschieden sind ja Gedichte,
Das eine rosig und licht,
Das andere hat Bleigewichte,
Und macht ein bittres Gesicht.
Das Gedicht „Ich weiß eine große Geschichte“ von Friederike Kempner verbindet in pointierter, leicht ironischer Form eine poetische Lebensbetrachtung mit der Einsicht in seine Widersprüchlichkeit. Kempner spielt mit dem Doppelsinn von „Gedicht“ – als Kunstform und als Metapher für das Leben selbst – und stellt damit eine Verbindung zwischen persönlicher Erfahrung, poetischer Ausdruckskraft und existenzieller Wahrheit her.
Bereits die erste Strophe deutet an, dass das Leben als „große Geschichte“ empfunden werden kann – eine, die nicht alle begreifen, aber viele „fühlen“. Das Leben sei ein „Gedichte“, also etwas mit Form, Rhythmus und Bedeutung – aber zugleich, und hier bricht der Ton um, auch „eine schwere Kur“. Die Klammer in der letzten Zeile hebt diesen Nachsatz hervor: Die poetische Schönheit des Lebens ist oft überlagert von Schmerz, Mühsal und Heilsversuchen.
In der zweiten Strophe führt Kempner diese Idee weiter, indem sie auf die Unterschiedlichkeit der Lebenswege – bzw. Gedichte – eingeht. Es gibt das „rosige und lichte“ Gedicht, das leicht und schön wirkt, aber auch das, das „Bleigewichte“ trägt – schwer, düster, belastet. Hier wird deutlich, dass nicht jedes Leben dieselbe Leichtigkeit besitzt, dass das persönliche „Gedicht des Daseins“ sehr verschieden ausfallen kann.
Die bildhafte Sprache – „Bleigewichte“, „bittres Gesicht“ – verleiht dem Gedicht eine feine Mischung aus Humor und Ernst. Kempner gelingt es, mit wenigen Worten eine tiefgreifende Reflexion über das menschliche Dasein zu entwerfen, die trotz ihrer Kürze vielschichtig wirkt. Das Leben ist nicht nur Poesie im klassischen Sinne, sondern auch geprägt von Spannung, Gewicht und Unvollkommenheit.
„Ich weiß eine große Geschichte“ ist damit ein leiser, augenzwinkernder Kommentar über die menschliche Existenz – poetisch, aber auch ehrlich im Blick auf ihre Schwere. Kempners Ton bleibt dabei empathisch und nahbar, ohne sich in Pathos oder Klage zu verlieren.
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