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Die Sphinx

Von

Die alten Egypter verehrten die Sphinx,
Die Sphinx – das Rätsel des Lebens –
Das Rätsel des Menschen – das Rätsel der Welt –
Die Lösung sucht man vergebens.

Der Grieche, graziöser die Psyche er schuf,
Die Psyche – das Sinnbild der Seele –
In Marmor grub er die Schönheit hinein,
Dass Jeder sie sehe und wähle. –

Doch unsre Zeit dem äußern Schein –
Dem Schatten der Wahrheit ergeben –
Verkündet und lehrt das moralische Nichts,
Kein Sinnbild wird sie erheben! –

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Gedicht: Die Sphinx von Friederike Kempner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Sphinx“ von Friederike Kempner ist eine kulturkritische Betrachtung, die sich über drei Epochen hinweg mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Rolle von Kunst und Geist auseinandersetzt. Es beginnt mit der Verehrung der Sphinx durch die Ägypter, übergeht zur griechischen Idealisierung der Seele in Form der Psyche und endet in einer kritischen Bestandsaufnahme der eigenen Gegenwart.

In der ersten Strophe steht die Sphinx als Symbol für das große Rätsel des Daseins. Kempner verweist auf die Unlösbarkeit zentraler Fragen – nach dem Menschen, nach der Welt, nach dem Leben. Die Sphinx wird zum Sinnbild der ewigen, geheimnisvollen Wahrheit, die dem Menschen verborgen bleibt. Der Ausdruck „Die Lösung sucht man vergebens“ unterstreicht dabei die Tragik dieses Strebens.

Die zweite Strophe richtet den Blick auf das antike Griechenland. Im Kontrast zur düsteren Rätselhaftigkeit der Sphinx steht hier die Psyche, das „Sinnbild der Seele“. Der Grieche formt sie „graziös“ und sichtbar – in Marmor, also in greifbarer, bleibender Schönheit. Die Kunst wird so zum Medium der Erkenntnis und Orientierung: Schönheit und Seele sind sichtbar, wählbar, verständlich. Diese Strophe zeugt von einer Hochachtung vor der ästhetischen und geistigen Kultur der Antike.

Die dritte Strophe richtet sich mit scharfer Kritik auf die Gegenwart. Kempner beschreibt ihre Zeit als eine, die sich dem „äußeren Schein“ verschrieben hat, dem „Schatten der Wahrheit“. Statt nach höheren Werten oder tieferem Sinn zu streben, lehrt und verbreitet die Gesellschaft das „moralische Nichts“. Der letzte Vers – „Kein Sinnbild wird sie erheben!“ – ist Anklage und Resignation zugleich: Die moderne Welt, so Kempners Urteil, hat keine symbolische Kraft mehr, keine wahre geistige oder künstlerische Größe.

„Die Sphinx“ ist somit nicht nur eine historische Reflexion, sondern auch ein Appell. Kempner ruft zur Rückbesinnung auf Sinn, Seele und Schönheit auf – und kritisiert eine Zeit, in der diese Werte scheinbar verloren gegangen sind. Das Gedicht verbindet Philosophie, Ästhetik und Zeitkritik in prägnanter, gedanklich dichter Form.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.