Grüß‘ mir das Meer,
Silberne Wellen
Rauschen und schwellen,
Schön ist das Meer!
Grüß‘ mir das Meer,
Golden es schäumt‘,
Ob es auch träumet?
Tief ist das Meer.
Grüß‘ mir das Meer,
Glücklich es scheinet
Ströme es weinet,
Groß ist das Meer.
Grüß‘ mir das Meer,
Silberne Wellen
Rauschen und schwellen,
Schön ist das Meer!
Grüß‘ mir das Meer,
Golden es schäumt‘,
Ob es auch träumet?
Tief ist das Meer.
Grüß‘ mir das Meer,
Glücklich es scheinet
Ströme es weinet,
Groß ist das Meer.
Das Gedicht „Das Meer“ von Friederike Kempner ist eine lyrisch verdichtete Naturbetrachtung, in der das Meer zugleich als physisches wie als seelisches Bild erscheint. In drei kurzen Strophen mit jeweils gleicher Struktur entfaltet Kempner eine vielschichtige Sicht auf das Meer – als schön, tief, groß – und verleiht ihm damit symbolische Bedeutung, die über das rein Landschaftliche hinausweist.
Jede Strophe beginnt mit der Bitte „Grüß’ mir das Meer“, was dem Gedicht einen zärtlichen, fast sehnsuchtsvollen Ton verleiht. Das lyrische Ich scheint vom Meer getrennt zu sein, aber in enger emotionaler Verbindung zu stehen. Das Meer wird dabei nicht einfach beschrieben, sondern in wechselnden Facetten wahrgenommen: als silbern und rauschend, golden und schäumend, glücklich und weinend. Diese Widersprüchlichkeit deutet auf eine tiefere emotionale Projektionsfläche hin.
Sprachlich arbeitet Kempner mit lautmalerischen Elementen („rauschen“, „schwellen“, „schäumt“) und farblichen Kontrasten („silbern“, „golden“), um das bewegte, lebendige Wesen des Meeres zu betonen. Gleichzeitig kommen Fragen und Empfindungen hinzu – etwa, ob das Meer träumt oder weint –, die das Meer vermenschlichen und seine Tiefe mit der Tiefe menschlicher Empfindung verbinden.
In der letzten Strophe kulminieren diese Gegensätze: Das Meer erscheint „glücklich“, doch es „weinet“. Diese Ambivalenz verweist auf die emotionale Dimension des Gedichts. Schönheit, Sehnsucht, Schmerz und Größe stehen nebeneinander und machen das Meer zu einem Sinnbild des menschlichen Inneren.
„Das Meer“ ist ein zartes, musikalisches Gedicht, das mit einfacher Sprache eine eindrucksvolle emotionale Tiefe erreicht. Friederike Kempner gelingt es, in wenigen Versen die Vielgestaltigkeit des Meeres als Natur- und Seelenlandschaft einzufangen und eine stille, melancholische Schönheit zu entfalten.
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