Die Verlassene klagt
Ich liege ausgehöhlt und leer,
Man hat mich weggeworfen,
Die Erde ist so hart und schwer,
Ich habe keine Tränen mehr.
Doch einstmals liebte ich dich sehr,
Da konnte ich noch weinen,
Da glich ich nicht den Steinen.
Will keine Sonne scheinen
In meine Dunkelheit?
Einst war es mir, als rief er,
Doch klang es viel zu weit,
Und niemand kann mich halten.
Jetzt fall ich immer tiefer
Aus der Zeit
In die Falten
Der Unendlichkeit.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Verlassene klagt“ von Francisca Stoecklin beschreibt eindringlich den seelischen Zustand einer tief verletzten, verlassenen Person, die durch den Verlust ihrer Liebe in eine existenzielle Leere gestürzt ist. In dichten, freien Versen entfaltet sich das Bild eines inneren Zerfalls, der nicht nur Schmerz, sondern auch Entfremdung von der Welt und von sich selbst zum Ausdruck bringt.
Das lyrische Ich beginnt mit einem drastischen Bild: „ausgehöhlt und leer“ – es fühlt sich wertlos und „weggeworfen“, gleich einem leblosen Objekt. Die physische Schwere der Erde steht dabei sinnbildlich für die emotionale Last der Verlassenheit. Dass es „keine Tränen mehr“ hat, verweist auf eine Gefühlsstarre, auf das völlige Ausgebranntsein nach einem einst intensiven emotionalen Erleben. Die Rückwendung in die Vergangenheit, als noch Liebe und Weinen möglich waren, unterstreicht den Kontrast zur jetzigen Versteinerung: „Da glich ich nicht den Steinen.“
Die Sonne, klassisches Symbol für Hoffnung oder Erleuchtung, will „nicht scheinen“. So bleibt das Ich in seiner „Dunkelheit“ gefangen. Die Frage „Will keine Sonne scheinen / In meine Dunkelheit?“ bringt eine leise Hoffnung oder zumindest ein Sehnen nach Trost zum Ausdruck, das aber sofort wieder ins Leere läuft. Die Erinnerung an den Ruf des Geliebten, der jedoch „viel zu weit“ klingt, betont die Unerreichbarkeit dessen, was einst Trost oder Halt bot. Niemand kann das Ich „halten“ – ein Gefühl tiefer Verlassenheit und existenzieller Einsamkeit.
Die letzten Verse lassen die lineare Zeit aufbrechen: Das Ich „fällt“ aus der Zeit, „in die Falten / Der Unendlichkeit“. Hier wird die seelische Erfahrung zu einer kosmischen – das Leiden der Verlassenen geht über individuelle Trauer hinaus und mündet in ein Gefühl metaphysischer Orientierungslosigkeit. Die Struktur der Verse – lose, zerfließend – spiegelt diese Auflösung in der Sprache selbst wider. Das Gedicht endet ohne Erlösung, aber mit einem kraftvollen Ausdruck völliger Vereinsamung und seelischer Entgrenzung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.