Der Abend läuft den lauen Fluß hinunter,
Gewittersonne übersprengt die Ufersenkung bunter.
Es hat geregnet. Alle Blätter dampfen Feuchte.
Die Weidenwildnis streckt mit hellen Tümpeln sich ins witternde Geleuchte.
Weiße Nebel sich ins Abendglänzen schwingen.
Unterm seichten Fließen dumpf und schrill die mitgezognen Kiesel klingen.
Die Pappeln stehn im Licht, traumgroße Kerzen dick mit gelbem Honigseimbeträuft –
Mir ist, als ob mein tiefstes Glück durch grüne Ufer in den brennenden Gewitterabendläuft.
Fluß im Abend
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Fluß im Abend“ von Ernst Stadler zeichnet ein impressionistisches Bild einer abendlichen Flusslandschaft, in der die Natur in leuchtenden Farben und atmosphärischen Zuständen dargestellt wird. Die Verwendung von Adjektiven wie „bunter“, „hellen“, „weiße“ und „gelbem“ erzeugt eine visuelle Fülle und transportiert den Leser in die Szenerie. Stadler legt Wert auf die Beschreibung der sinnlichen Eindrücke, wobei die Elemente des Wassers, des Lichts, der Feuchtigkeit und der Vegetation eine zentrale Rolle spielen.
Die Atmosphäre wird durch die Verwendung von Begriffen wie „dampfen“, „glänzen“ und „witternde“ geprägt, die ein Gefühl von Frische und Lebendigkeit vermitteln, aber auch eine leichte Melancholie durchscheinen lassen. Die Beschreibung der „dumpf und schrill“ klingenden Kiesel unterstreicht das Zusammenspiel von Ruhe und Bewegung, die den Fluss charakterisiert. Der Übergang von der äußeren Beobachtung zur inneren Erfahrung wird durch die Verwendung des Pronomens „Mir“ verdeutlicht, das die persönliche Resonanz des Dichters auf die Szene hervorhebt.
Die Metapher der „traumgroßen Kerzen dick mit gelbem Honigseimbeträuft“ für die Pappeln ist besonders eindrucksvoll und verleiht dem Gedicht eine poetische Tiefe. Diese Bilder, zusammen mit den sich „ins Abendglänzen schwingenden“ Nebeln, erzeugen eine fast surreale Stimmung, die durch die verschwommenen Grenzen zwischen Realität und Traum verstärkt wird. Die Verwendung von Wörtern wie „Honigseim“ verstärkt die sinnliche Erfahrung, während die Gegenüberstellung von „grünen Ufern“ und „brennenden Gewitterabend“ einen subtilen Kontrast erzeugt, der die Ambivalenz des Glücks andeutet.
Das Gedicht schließt mit einer intensiven, subjektiven Aussage, in der der Dichter sein „tiefstes Glück“ mit der abendlichen Szenerie verbindet. Der Fluss wird so zu einem Symbol für das Fließen des Lebens, die Vergänglichkeit der Zeit und die Verschmelzung von Freude und Vergänglichkeit. Die letzte Zeile ist ein Ausdruck von tiefer Verbundenheit mit der Natur und der Fähigkeit, im Anblick der äußeren Welt eine innere Harmonie und ein Gefühl des Glücks zu erfahren. Es ist ein Moment der poetischen Verklärung, in dem die äußere Landschaft zur Spiegelung der inneren Befindlichkeit des Dichters wird.
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