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Nymphenburg

Von

Ein Erzittern, glückliches Fiebern des Hirns und Taumeln der Brust, taucht in graugedehnte, rasengrüne Parkavenuen.
Es war eine Beschwörung: die Gifttapete berste,
Die mir, seit ich wühle (seit es irgendwo leuchtete) die lichte Scheidekraft verstellt.
….. Es quoll ein grünes Auge;
In Bastseide, durchsickert von malvenfarbenen Eisenbahnschienen,
Räkelte sich Pierrot, der klügste, katholischste Amerikaner,
Grau das Wüstlingshaar, das Jünglingshaar, knisternd dem Weinlaub, dem Lorbeer und Frauen-Nägeln.
Aus Lackschuhen, glänzendster Eremitage, plätscherten die weißblauen, wolkenzarten Adern eines sehr hellen Nervenbeins.
(Soviel Wässer, Toilettenwässer, soviel Zärtlichkeit!)
Ein dunkler Mund zerteilte höflich den behutsamen Dampf.
Und es wurde Orphisches doziert.
Ich versank – lächelnd, vergiftet.
Da wusste ich meine heiteren Gefahren,
Und, edlerer Bürde nun gewürdigt, erschloss ich mir das volkgemiedne Land.
… Schon formt sich in der Stachelhülle,
Was, schmelz-duftig, nebelreif-atmend, die kältere Erde grüßen wird;
Prunkend die Avenue denkt gelbe Gedankenbäume, weite, bergige, spitzfindige wie die Lust (… die Lust …),
Eine weiße Fontaine zischelt Médisance, Marquise in gepuderter Wellen Perücke,
Die Marmorgötter lauschen und kichern und schmiegen sich lächelnd aus ihren Gewändern
(Welcher Doktor besorgt eure Kosmetik, Beine Dianens?),
Und, jenseits des Königsschlosses, lassen die Spiegelleiber heiliger Teiche,
Schwäne sind ihre Brüste,
Brüste,
Sich einbetten in Festungswälle,
Ritterlich wehrende, mit galant abfallenden Schultern, Pagenschultern.

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Gedicht: Nymphenburg von Ferdinand Hardekopf

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Nymphenburg“ von Ferdinand Hardekopf ist eine dichte, rauschhafte Vision, die die barocke Gartenlandschaft von Nymphenburg in eine traumartige, fast halluzinative Szenerie verwandelt. Bereits in den ersten Zeilen wird das lyrische Ich von einem „glücklichen Fiebern“ erfasst, das einen Übergang vom Alltäglichen in eine symbolistisch überhöhte Welt markiert. Die „graugedehnten, rasengrünen Parkavenuen“ werden zum Ort einer Beschwörung, in der sich das Reale und das Surreale vermischen. Das Bild der „Gifttapete“ verweist auf eine psychische Barriere, die das klare Erkennen der Wirklichkeit lange verhindert hat und nun aufbricht.

Die Natur erscheint hier verfremdet und von symbolistischer Bildsprache durchdrungen: Ein „grünes Auge“ quillt hervor, Pierrot – die archetypische Figur des melancholischen Narren – tritt als „katholischster Amerikaner“ auf, eine merkwürdige Verbindung aus Weltläufigkeit und religiöser Konnotation. Das Gedicht spielt mit einer Mischung aus Dekadenz, Erotik und klassizistischer Anspielung: Der „Wüstling“ mit „Jünglingshaar“ und die „weißblauen, wolkenzarten Adern“ erzeugen eine fragile, nervöse Sinnlichkeit, die von der feinen Wahrnehmung des lyrischen Ichs durchdrungen ist.

Im weiteren Verlauf des Gedichts steigert sich die Szenerie zu einer opulenten Allegorie von Verführung und Verfall. Der „dunkle Mund“ und die „Toilettenwässer“ betonen das Zusammenspiel von Künstlichkeit und Intimität, während Begriffe wie „Orphisches“ und „Médisance“ das Spiel mit Kulturzitaten und höfischer Intrige andeuten. Die „Marmorgötter“ werden lebendig und ironisch vermenschlicht, indem sie „kichern“ und „lächelnd aus ihren Gewändern“ treten. Das Gedicht verweigert dabei klare Erzähllogik und verwebt barocke Bilder mit Symbolismus und moderner Dekadenz.

Hardekopf erschafft eine übersteigerte Szenerie, in der der Nymphenburger Park zu einem Ort der „heiteren Gefahren“ wird – ein „volkgemiednes Land“, in dem Lust, Kunst und Verfall regieren. Zwischen Natur, Architektur und mythologischen Anspielungen entfaltet sich ein poetisches Tableau, das von einer Mischung aus Melancholie, Rausch und ironischer Distanz geprägt ist. Der abschließende Blick auf „Schwäne“ und „Pagenschultern“ schließt die Szene in ein Bild höfisch-ritterlicher Erotik und entrückter Schönheit, das das Gedicht in einer Mischung aus Sinnlichkeit und kühlem Spott ausklingen lässt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.