Das Café-Sonett
Den Marmortisch umsprühen Manieristen,
Erregt vom Beichtwort Mauds, der Künstlerin:
„Weiß nicht, ob Weib ich, ob ich Knabe bin!“
Sie steigern sich in überhitzte Listen.
Der Dame liegt die letzte Nacht im Sinn.
Dem John, dem dunkelsten der Morphinisten,
Dem Welt-Abbé, dem Décadence-Artisten,
Hält sie die gleiche klare Stirne hin.
Da: Jack, Gorilla, erster Fußball-Preis.
Der Geist bestellt die sechste Schnaps-Karaffe.
Wie Maud, erkannt, ihr süßes Schicksal weiß!
Es fällt die Festung vor dem Bild der Waffe.
Dem Football-Monstrum bringt man Huhn mit Reis,
Maud, sachlich: „Schaufle was du kannst, mein Affe!“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Café-Sonett“ von Ferdinand Hardekopf entwirft ein pointiertes, satirisches Bild einer dekadenten Caféhaus-Szene der Großstadt, in der sich Künstler, Dandys und Außenseiter versammeln. Der Marmortisch, an dem sich „Manieristen“ sammeln, dient als Symbol für eine Künstlerszene, die sich in Selbstinszenierung und intellektuellem Spiel verliert. Das zentrale Bekenntnis der Figur Maud – „Weiß nicht, ob Weib ich, ob ich Knabe bin!“ – deutet auf eine Identitätskrise oder die bewusste Auflösung von Geschlechterrollen hin, wie sie in der Dekadenzbewegung oder im Fin de Siècle häufig thematisiert wurde.
Das Sonett zeigt, wie Maud, die „Künstlerin“, sich souverän und abgeklärt zwischen den Männern bewegt: dem „dunkelsten der Morphinisten“, dem „Décadence-Artisten“ und weiteren Figuren aus dem Milieu der Entfremdung und des Drogenkonsums. Diese Personen wirken wie stereotype Vertreter einer untergehenden Bohème, die sich in Dekadenz und Selbstvergessenheit verliert. Maud aber bleibt „klar“, wirkt fast unberührt von den Exzessen, während sie mit einer gewissen Kühle zwischen diesen Männern agiert.
Der Kontrast zur Figur „Jack“, dem „Gorilla“ und „Football-Monstrum“, ist auffällig. Hier begegnen sich zwei Extreme: die intellektuell-dekadente Welt des Cafés und die rohe Körperlichkeit des „Sportlers“. Doch statt Distanz herrscht hier eine pragmatische, fast zynische Sachlichkeit. Maud erkennt ihr „süßes Schicksal“, vermutlich im Sinne einer erotischen, aber distanzierten Begegnung, und spricht Jack ironisch-herablassend als „mein Affe“ an.
Hardekopf verbindet in diesem Sonett Elemente der Gesellschaftssatire mit der Darstellung einer modernen Frau, die sich über gängige Geschlechterklischees und die Dekadenz der Künstlerwelt gleichermaßen erhebt. Die kühle Ironie der letzten Zeile unterstreicht die nüchterne Haltung Mauds, die sowohl den dekadenten Künstlern als auch dem animalischen Sportler überlegen erscheint – eine Figur zwischen Spiel, Berechnung und Selbstbestimmung.
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Lizenz und Verwendung
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