Das Bar-Sonett
Gazellenscheu im Wüstenbrand der Lüste,
Erzittert sie vor der gesuchten Gier
Und lockert sich dem guten Elixier,
Mit dem sie viel zu übertäuben wüsste.
Dann trägt sie, sehr erfahren, Bar-Manier,
Die Irrlicht-Augen, Muschelglanz der Brüste,
Sich-Praxis, küssende und wundgeküsste,
Geschäftlich zum Geschäftsmann: „Cavalier.“
„Wer sind Sie? Opfer oder Henkerin?
Wie lügen Sie? Wie werden Sie belogen?
Was geben Sie? Was gibt man Ihnen hin?“
Aztekisch ist ihr das Profil gebogen.
„Man kennt mich doch. Bestellen Sie mir Gin!“
Sie faltet sich dem Paradies der Droguen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Bar-Sonett“ von Ferdinand Hardekopf thematisiert die zwielichtige Welt einer Bardame und entwirft ein Bild von Verführung, Geschäft und innerer Leere im nächtlichen Milieu. Die erste Strophe zeigt die Frau zunächst als widersprüchliche Figur: „gazellenscheu“ und zugleich im „Wüstenbrand der Lüste“, was ihre ambivalente Haltung zwischen Zurückhaltung und Hingabe an die Lust verdeutlicht. Der Alkohol – „das gute Elixier“ – dient ihr als Mittel zur Betäubung und zugleich als Werkzeug, um sich ihrer Rolle in dieser Umgebung zu fügen.
In der zweiten Strophe wird die Bardame routiniert und abgeklärt beschrieben. Sie beherrscht das Spiel mit Reizen und Illusionen: „Irrlicht-Augen“ und „Muschelglanz der Brüste“ wirken wie gezielt eingesetzte Mittel, um im geschäftlichen Umgang mit Männern zu agieren. Die Worte „Geschäftlich zum Geschäftsmann“ betonen dabei die nüchterne, fast mechanische Abwicklung der Begegnung, bei der der Körper zur Ware wird und der Mann als „Cavalier“ Teil eines bekannten Spiels ist.
Das Sonett stellt dann eine Reihe bohrender Fragen, die auf die existenzielle Unsicherheit und Zerrissenheit dieser Figur abzielen: Opfer oder Täterin, ehrlich oder belogen, gebend oder nehmend? Diese Fragen zeigen die emotionale Kälte und die moralische Ambivalenz der Situation. Dennoch bleibt die Frau unbeeindruckt, ja sogar zynisch. Ihr „aztekisch gebogenes Profil“ – ein exotisierendes, zugleich distanziertes Bild – unterstreicht ihre fremdartige und unergründliche Aura.
Der abschließende Befehl „Bestellen Sie mir Gin!“ und der letzte Vers „Sie faltet sich dem Paradies der Droguen“ bringen eine gewisse Resignation zum Ausdruck: Die Bardame flüchtet sich endgültig in die Welt der Betäubung und Drogen, die ihr ein „Paradies“ bietet, das allerdings trügerisch und zerstörerisch ist. Das Gedicht zeichnet somit ein düsteres Porträt urbaner Vergnügungssucht und emotionaler Abstumpfung in der Großstadtnacht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.