Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , , , ,

Löwenritt

Von

Wüstenkönig ist der Löwe; will er sein Gebiet durchfliegen,
Wandelt er nach der Lagune, in dem hohen Schilf zu liegen.
Wo Gazellen und Giraffen trinken, kauert er im Rohre;
Zitternd über dem Gewalt’gen rauscht das Laub der Sykomore.

Abends, wenn die hellen Feuer glühn im Hottentottenkrale,
Wenn des jähen Tafelberges bunte, wechselnde Signale
Nicht mehr glänzen, wenn der Kaffer einsam schweift durch die Karroo,
Wenn im Busch die Antilope schlummert, und am Strom das Gnu:

Sieh, dann schreitet majestätisch durch die Wüste die Giraffe,
Dass mit der Lagune trüben Fluten sie die heisse, schlaffe
Zunge kühle; lechzend eilt sie durch der Wüste nackte Strecken,
Kniend schlürft sie langen Halses aus dem schlammgefüllten Becken.

Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken
Springt der Löwe; welch ein Reitpferd! Sah man reichere Schabracken
In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen,
Als das bunte Fell des Renners, den der Tiere Fürst bestiegen?

In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters gelbe Mähne.
Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und flieht gepeinigt:
Sieh, wie Schnelle des Kameles es mit Pardelhaut vereinigt!

Sieh, die mondbestrahlte Fläche schlägt es mit den leichten Füssen!
Starr aus ihrer Höhlung treten seine Augen; rieselnd fliessen
An dem braungefleckten Halse nieder schwarzen Blutes Tropfen,
Und das Herz des flücht’gen Tieres hört die stille Wüste klopfen.

Gleich der Wolke, deren Leuchten Israel im Lande Yemen
Führte, wie ein Geist der Wüste, wie ein fahler, luft’ger Schemen,
Eine sandgeformte Trombe in der Wüste sand’gem Meer,
Wirbelt eine gelbe Säule Sandes hinter ihnen her.

Ihrem Zuge folgt der Geier; krächzend schwirrt er durch die Lüfte;
Ihrer Spur folgt die Hyäne, die Entweiherin der Grüfte;
Folgt der Panther, der des Kaplands Hürden räuberisch verheerte;
Blut und Schweiss bezeichnen ihres Königs grausenvolle Fährte.

Zagend auf lebend’gem Throne sehn sie den Gebieter sitzen,
Und mit scharfer Klaue seines Sitzes bunte Polster ritzen.
Rastlos, bis die Kraft ihr schwindet, muss ihn die Giraffe tragen;
Gegen einen solchen Reiter hilft kein Bäumen und kein Schlagen.

Taumelnd an der Wüste Saume stürzt sie hin und röchelt leise.
Tot, bedeckt mit Staub und Schaume, wird das Ross des Reiters Speise.
Über Madagaskar, fern im Osten, sieht man Frühlicht glänzen; –
So durchsprengt der Tiere König nächtlich seines Reiches Grenzen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Löwenritt von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Löwenritt“ von Ferdinand Freiligrath schildert in eindrucksvollen Bildern eine dramatische Szene aus der afrikanischen Wildnis: Ein Löwe lauert an einer Lagune und stürzt sich mit gewaltiger Kraft auf eine trinkende Giraffe. Die Jagd wird hier nicht als bloßes Töten beschrieben, sondern als eine fast mythische Reiterszene – der Löwe erscheint wie ein König, der auf einem lebendigen Thron sitzt, während die Giraffe mit verzweifelter Schnelligkeit durch die Wüste stürmt.

Freiligrath nutzt eine bildgewaltige Sprache, um die Dynamik und Wildheit der Natur einzufangen. Die Landschaft der afrikanischen Steppe wird mit ihren Bewohnern – Gazellen, Gnus, Hyänen und Geiern – lebendig beschrieben. Besonders eindrucksvoll ist das Bild der jagenden Raubtiere, die dem blutenden Opfertier folgen, während der Löwe unerbittlich auf seinem „Ross“ bleibt. Die Natur erscheint hier als ein Ort von unbändiger Kraft, in dem das Gesetz des Stärkeren regiert.

Am Ende der Jagd fällt die Giraffe erschöpft und wird selbst zur Beute. Der Löwe, unangefochten als Herrscher der Wildnis, überschreitet mit seinem nächtlichen Streifzug die Grenzen seines Reiches. Das Gedicht verbindet Naturromantik mit einer brutalen Realität und zeigt die raue Schönheit und Grausamkeit der afrikanischen Wildnis. In seiner Erhabenheit erinnert der Löwe an einen Herrscher, der in einem ewigen Kreislauf von Leben und Tod seine Macht demonstriert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.