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Wiedersehen

Von

– Und ich sah Dich wieder,
Sah Dein Haar ergraut
In schwerer Pflichterfüllung,
Und sah die Linien,
Die herber Trotz
Und bittre Menschenverachtung
Um Deine schmalen,
Blutlosen Lippen gezogen.

Mit halbverschleierter
Müder Stimme,
In der nur selten
Ein lichter Ton der Freude
Schüchtern emporklang,
Erzähltest Du mir
Von Deines Lebens
Dornigen Wanderzügen
Und qualvollen Kämpfen.

Ich und Du,
Wir hätten gerne
Von gemeinsam verlebten
Seligen Stunden gesprochen,
Von unvergessenen,
Liebesschwülen Tagen, –
Aber keines von uns Beiden
Fand das heißersehnte,
Das richtige Wort.

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Gedicht: Wiedersehen von Felix Dörmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Wiedersehen“ von Felix Dörmann schildert ein von Melancholie geprägtes Treffen zweier Menschen nach langer Zeit. Im Mittelpunkt steht die Wahrnehmung der Veränderung und das Schweigen, das sich zwischen die beiden einst Vertrauten gelegt hat. Das lyrische Ich beobachtet mit einer Mischung aus Mitgefühl und Fremdheit die Spuren der vergangenen Jahre im Gesicht der wiedergetroffenen Person.

Das Bild der „ergrauten Haare“ und der „blutlosen Lippen“ unterstreicht die Härte und Bitterkeit, die das Leben in das Gegenüber eingeschrieben hat. Die Rede von „Pflichterfüllung“ und „Menschenverachtung“ deutet darauf hin, dass die andere Person durch Enttäuschungen und Kämpfe geprägt wurde. Die Sprache ist nüchtern und zurückhaltend, was die emotionale Distanz zwischen den beiden Figuren betont.

In der zweiten Strophe wird diese Distanz noch verstärkt: Die „müde Stimme“ und die Erzählungen von einem Leben voller „dorniger Wanderzüge“ und „qualvoller Kämpfe“ verdeutlichen, dass der Mensch, den das lyrische Ich wiedersieht, von einem schweren Schicksal gezeichnet ist. Dennoch bleibt die Erzählung fragmentarisch und von einer gewissen Schwere überschattet, die es den beiden unmöglich macht, echte Nähe herzustellen.

Der Schluss des Gedichts bringt die eigentliche Tragik zum Ausdruck: Beide möchten gerne über die gemeinsam erlebte, glückliche Vergangenheit sprechen, doch die Worte fehlen. Die „seligen Stunden“ und „liebesschwülen Tage“ bleiben unerwähnt, weil die richtigen Worte „heißersehnt“ und doch unerreichbar scheinen. So bleibt das „Wiedersehen“ von Sprachlosigkeit und einem schmerzlichen Bewusstsein der entfremdeten Zeit durchzogen. Das Gedicht thematisiert somit Verlust, Vergänglichkeit und die Ohnmacht gegenüber der Kluft, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart entstanden ist.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.