Sturm
Wo sich auf bleichgeglühten Kalksteinfelsen
Der Rosenhain erhebt, dort ruhtest du…
Die Luft ist schwül, dem fernen Horizont
Entsteigt ein nachtgefärbtes Sturmgewölk,
Das noch ein letztes, blasses Roth umsäumt.
In schwärzlich-grünen, weiten Wellen schlägt
Schwerathmend schon empor zum Strandgeklipp
Das wilde Meer und jauchzt dem Sturm entgegen,
Der es durchschüttert bis zum letzten Grund.
Zu Neste flüchtet scheu das Seegevögel,
Und heimwärts flieht mit hochgebauschtem Segel
Der Fischerbarken angstgepeitschte Schaar…
Du aber ruhst in marmornem Gestühl
Und saugst in gierig langen Athemzügen
Der goldig-blassen Rosen schweren Hauch,
Und lässt den Sturm in liebesheißem Spiel
Von Brust und Schultern Dir den Schleier lösen
Und starrst hinaus auf gischtgekrönte Wasser
Und träumst vom Sturm, der Deine Seele liebt
Und sie durchschüttert bis zum letzten Grund.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Sturm“ von Felix Dörmann beschreibt eine intensive, fast mystische Verbindung zwischen einer Frau und der Naturgewalt des Sturms. Das lyrische Ich beobachtet eine Szene voller dramatischer Kontraste: Während der Sturm das Meer aufpeitscht und Tiere sowie Fischer die drohende Gefahr suchen zu entkommen, verharrt die Frau unbewegt und genießt die aufgeladene Atmosphäre.
Die Natur erscheint unheilvoll und zugleich faszinierend. Der Sturm und das Meer werden mit kraftvollen Bildern beschrieben: „nachtgefärbtes Sturmgewölk“, „schwärzlich-grüne Wellen“, „angstgepeitschte Schaar“ – all diese Ausdrücke betonen die Bedrohung und die wuchtige Energie der Natur. Im Kontrast dazu steht die Frau im „marmornem Gestühl“, die sich der Naturgewalt öffnet und diese bewusst in sich aufnimmt, anstatt ihr wie das Tier und der Mensch zu entfliehen.
Der Sturm wird dabei fast erotisch konnotiert. Der „liebesheiße Spiel“-Sturm löst ihr den Schleier, während sie „gierig“ den schweren Rosenduft einatmet. Diese Bildsprache deutet darauf hin, dass der Sturm nicht nur ein äußeres Naturereignis ist, sondern auch eine Metapher für eine innere Leidenschaft, für eine überwältigende emotionale Erschütterung. Die Frau träumt davon, dass der Sturm auch ihre Seele „bis zum letzten Grund“ durchschüttert – die Naturgewalt wird so zur Spiegelung einer tiefen Sehnsucht nach Hingabe und Ekstase.
Insgesamt spielt das Gedicht mit der Verbindung von Natur und menschlicher Psyche. Die ekstatische Offenheit der Frau steht im Gegensatz zur Fluchtbewegung der anderen Figuren im Gedicht und lässt sie mit der Wildheit des Sturms verschmelzen. Der Text bleibt dabei in einer schwebenden Ambivalenz zwischen Gefahr, Lust und Erhabenheit und erzeugt so eine spannungsgeladene, symbolistische Atmosphäre.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.