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Namenlos

Von

1.

Ich habe nur ihr großes Herz gekannt
Und ihres teuren Leibes Paradies. –
Nicht weiß ich, wer sie war und wie sie hieß,
Denn ihren Namen hat sie nie genannt.
Doch auch den meinen wies sie stolz zurück:
„Ich brauch‘ ihn nicht! – In meiner Seele lebt
Für alle Zeit das namenlose Glück,
Mit der Erinnerung an Dich verwebt.“ –

Du bist ihr gleich, Du bräunlich blasses Kind. –
Dein tiefgelegnes, dunkles Auge rief
Vergangnes jach empor. – Ein Wirbelwind
Wühlt Alles auf, was tränenmüde schlief.
Und wieder flutet um das teure Bild
Der süßesten Erinnerungen Meer,
Und aus der Seele, stoßend, dumpf und schwer,
Ein fassungsloses Schluchzen bricht und quillt.

2.

Manches Mal, in stillen Nächten,
Steigt mir noch Dein Bild empor
Und ich kann’s nicht, kann’s nicht fassen,
Daß ich Dich so ganz verlor.

Deine großen, braunen Augen,
Mit den Wimpern lang und schwer,
Blicken ganz noch wie vor Zeiten
Warm und innig zu mir her.

Als in jener dunklen Stunde
In das fremde Land Du gingst
Und zum allerletzten Male
Weinend mir am Halse hingst,

Damals hast Du mir versprochen:
„Hören wirst Du bald von mir“
Aber niemals kam ein Zeichen,
Niemals nur ein Gruß von Dir.
. . .

Wilder Schmerzen wüstes Toben
Hat in Wehmut sich gewandt,
Und im raschen Lauf der Tage
Selbst Dein Bild dem Geist entschwand. –

Manchmal nur in stillen Nächten
Steigt es mir noch heiß empor –
Und ich kann’s nicht, kann’s nicht fassen,
Daß ich Dich so ganz verlor.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Namenlos von Felix Dörmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Namenlos“ von Felix Dörmann thematisiert die schmerzhafte Erinnerung an eine verlorene, geheimnisvolle Liebe, die keine klaren Konturen und keinen Namen trägt. In beiden Teilen des Gedichts steht die Unbegreiflichkeit des Verlusts im Mittelpunkt, verbunden mit der melancholischen Macht der Erinnerung.

Der erste Teil erzählt von einer intensiven, namenlosen Begegnung. Die geliebte Person bleibt anonym und entzieht sich jeglicher konkreten Festlegung. Diese Anonymität hebt das Erlebnis auf eine symbolische Ebene – es geht weniger um eine bestimmte Person als um ein Gefühl von „namenlosem Glück“, das für immer mit dem lyrischen Ich verbunden bleibt. Die Beschreibung der neuen Geliebten – „bräunlich blasses Kind“ – lässt alte Erinnerungen wie einen „Wirbelwind“ aufwühlen. Die tiefe emotionale Erschütterung entlädt sich in einem „fassungslosen Schluchzen“, das die Macht der verdrängten Vergangenheit verdeutlicht.

Der zweite Teil verstärkt die Thematik des Verlusts und der Erinnerung. Besonders in „stillen Nächten“ steigt das Bild der Geliebten wieder auf, und das lyrische Ich hadert damit, „daß ich Dich so ganz verlor“. Die Szene des Abschieds, die von Tränen und einem versprochenen Wiedersehen geprägt ist, bleibt unaufgelöst. Das Ausbleiben jedes Zeichens verstärkt die Verlassenheit und das Gefühl, mit einer Leerstelle zurückgeblieben zu sein.

Das Gedicht endet resignativ: Im Alltag verblasst die Erinnerung langsam, wird aber in einsamen Momenten immer wieder schmerzlich präsent. „Namenlos“ steht somit für eine universelle Erfahrung von Verlust und unerfüllter Liebe, die Dörmann mit einfachen, aber eindringlichen Bildern von Wehmut und Erinnerung gestaltet. Das lyrische Ich bleibt gefangen zwischen Vergessen und der unauslöschlichen Kraft der Vergangenheit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.