Julinacht
Die Mondeslichter rinnen
Aus sterndurchsprengtem Raum
Zur regungslosen Erde,
Die müde atmet kaum.
Wie schlummertrunken schweigen
Die Linden rund umher,
Des Rauschens müde, neigen
Herab sie blütenschwer.
Nur manchmal, traumhaft leise,
Rauscht auf der Wipfel Lied,
Wenn schaurig durchs Geäste
Ein kühler Nachthauch zieht.
Mein Herz ist ruh-umfangen,
Ist weltvergessen still,
Kein Sehnen und Verlangen
Die Brust bewegen will.
Nur manchmal, traumhaft leise,
Durchzieht der alte Schmerz,
Wie Nachtwind durchs Geäste,
Das müdgeliebte Herz.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Julinacht“ von Felix Dörmann beschreibt eine stillschweigende, fast magische Nachtlandschaft, die von einer ruhigen, fast traumhaften Atmosphäre durchzogen ist. Die „Mondeslichter“, die „aus sterndurchsprengtem Raum“ auf die Erde rinnen, erzeugen ein Bild der Weite und der Unendlichkeit. Die Erde selbst wirkt regungslos, als ob sie in einer Art friedlichem Schlaf versunken ist, und die „müde atmet kaum“. Diese ersten Zeilen setzen den Ton für eine Szene der Ruhe, in der die Welt in einer Art Koma verweilt und die Zeit fast stillzustehen scheint.
Die Lindenbäume, die „schlummertrunken schweigen“, tragen zur stimmungsvollen Schilderung bei. Ihr „Rauschen“ ist „müde“, was darauf hinweist, dass selbst die Natur in dieser Nacht erschöpft ist und sich in einem Zustand der Erholung befindet. Die „blütenschweren“ Linden neigen sich herab, was eine bildhafte Darstellung von Schwere und Erschöpfung ist, als ob sie von der Last ihrer eigenen Schönheit oder Fruchtbarkeit überwältigt wären. Diese Szene wird von einer beinahe melancholischen Ruhe durchzogen, die sich auf die gesamte Natur überträgt.
Der Gedichtverlauf wechselt dann zu einer subtileren Wahrnehmung der Nacht, in der der Wind, ein „kühler Nachthauch“, durch die Bäume zieht und dabei ein „schauriges Lied“ erklingen lässt. Diese Passage erinnert daran, dass trotz der Ruhe und Stille in der Natur immer noch eine gewisse Unruhe und Veränderung vorhanden sind. Der „kühle Nachthauch“ kann als Symbol für das Unbewusste, das Unausgesprochene oder das Unheimliche interpretiert werden, das in der tiefen Stille der Nacht spürbar wird.
Im letzten Teil des Gedichts wechselt der Sprecher von der ruhigen Beschreibung der Natur zu einer introspektiven Betrachtung seines eigenen Herzens. Das Herz des Sprechers ist „ruh-umfangen“ und „weltvergessen still“, was die Stimmung der Erholung und des inneren Friedens widerspiegelt. Doch dieser Zustand wird nicht ganz von Schmerz oder Sehnsucht befreit, wie die Zeile „Durchzieht der alte Schmerz“ zeigt. Der alte Schmerz wird dabei als Teil der Natur des Menschen dargestellt, der trotz des äußeren Friedens und der Stille in seinem Inneren noch immer mit vergangenen Wunden zu kämpfen hat. Dieser Schmerz ist leise und zurückhaltend, ähnlich dem „Nachthauch“ des Windes, der durch das Geäste zieht, aber dennoch nicht zu übersehen ist.
Abschließend lässt sich sagen, dass Dörmann in „Julinacht“ eine melancholische Verbindung zwischen der Ruhe der Natur und dem inneren Zustand des Menschen herstellt. Die Stille und Schönheit der Nacht wird durch den Schmerz des Sprechers kontrastiert, was eine tiefere, existenzielle Dimension eröffnet. Die Natur erscheint als Spiegelbild des menschlichen Inneren – ruhig und erschöpft, aber auch durchzogen von vergangenen Wunden und unerfüllten Sehnsüchten.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.