Lied der Walküre
Froh sah ich dich aufblühn,
du freudiger Held,
lang folg ich dir schwebend
und schweigend gesellt.
Oft küsst‘ ich des Schlummernden
Schläfe gelind
und leise die Locken,
die dir wehen im Wind.
Hoch flog ich zu Häupten,
– du kanntest mich kaum –
durch die Wipfel der Wälder,
dein Trost und dein Traum.
Ich brach vor dem Bugspriet
durch Brandung dir Bahn,
vor dem Schiffe dir schwamm ich,
weiß-schwingig, ein Schwan.
Ich zog dir zum Ziele
den zischenden Pfeil,
aufriss ich das Ross dir,
das gestrauchelt am Steil.
Oft fing ich des Feindes
geschwungenes Schwert,
lang hab‘ ich die Lanzen
vom Leib dir gewehrt.
Und nun, da die Norne
den Tod dir verhängt,
hab‘ ich dir den schnellsten,
den schönsten geschenkt.
„Sieg!“ riefest du selig,
„Sieg, Sieg allerwärts!“
da lenkt‘ ich die Lanze
dir ins herrliche Herz.
Du lächeltest lieblich, –
ich umfing dich im Fall –
Ich küsse die Wunde –
und nun auf: – nach Walhall!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Lied der Walküre“ von Felix Dahn stellt eine mythische Szene aus der nordischen Sagenwelt dar, in der eine Walküre – eine göttliche Kriegerin – zu ihrem auserwählten Helden spricht. In einer Mischung aus Rückblick, Liebeserklärung und feierlichem Abschied beschreibt sie ihre langjährige unsichtbare Begleitung und den nun bevorstehenden Übergang ins Jenseits.
Von Beginn an wird deutlich, dass die Walküre den Helden schon lange begleitet: als unsichtbare, aber schützende Kraft. In zärtlichen Bildern schildert sie, wie sie ihn im Schlaf berührte, seine Wege begleitete, ihn in Kämpfen schützte. Die Verbindung ist nicht nur spirituell, sondern auch tief emotional – fast wie eine heimliche Liebe aus einer anderen Sphäre. Besonders eindrucksvoll sind die dynamischen Bilder aus Kampf und Natur: die Walküre fliegt über Wälder, bricht sich Bahn durch Brandung, verwandelt sich in einen Schwan – Gestaltenwandel und übernatürliche Präsenz fließen ineinander.
Im dritten Abschnitt offenbart sich ihre Rolle als stille Beschützerin: Sie lenkt Pfeile, schützt vor Schwertern, verhindert Stürze. Doch ihre Hilfe bleibt unbemerkt – der Held „kanntest mich kaum“. Ihre Hingabe ist selbstlos, getragen von Loyalität und Liebe. Doch nun, da das Schicksal – hier in Gestalt der Norne – den Tod bestimmt hat, nimmt die Walküre ihr letztes Amt wahr: Sie führt den Helden aus dem Leben.
Die entscheidende Wendung liegt in der letzten Strophe, als der Held in einem letzten Kampf „Sieg“ ruft, ohne zu wissen, dass die tödliche Lanze von ihr selbst gelenkt wird – ein paradoxes Geschenk: der schönste, schnellste Tod. Dieser Moment ist nicht grausam, sondern heroisch und fast liebevoll. Der Tod erscheint nicht als Niederlage, sondern als Triumph, als Übergang in eine höhere Sphäre. Die Walküre empfängt den sterbenden Helden mit einem Kuss und geleitet ihn nach Walhall – dem mythischen Ort für gefallene Helden.
Dahn verknüpft in diesem Gedicht nordische Mythologie mit romantischer Emphase und einer tiefen Todessehnsucht. Der Tod wird nicht als Ende, sondern als Erfüllung eines heroischen Lebens dargestellt – geführt von einer göttlichen, liebenden Macht. Die poetische Sprache, der Rhythmus und die bildhafte Symbolik schaffen ein feierlich-episches Lied voller Pathos und stiller Größe.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.