Mittag
Der Sommermittag lastet auf den weißen
Terrassen und den schlanken Marmortreppen
die Gitter und die goldnen Kuppeln gleißen
leis knirscht der Kies. Vom müden Garten schleppen
sich Rosendüfte her, wo längs der Hecken
der schlaffe Wind entschlief in roten Matten
und geisternd strahlen zwischen Laubverstecken
die Götterbilder über laue Schatten.
Die Efeulauben flimmern. Schwäne wiegen
und spiegeln sich in grundlos grünen Weihern
und große fremde Sonnenfalter fliegen
traumhaft und schillernd zwischen Düfteschleiern.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Mittag“ von Ernst Stadler beschreibt eindrucksvoll die ruhige, beinahe erdrückende Atmosphäre eines Sommernachmittags, der in seiner Bildhaftigkeit und Detailgenauigkeit die ganze Sinnlichkeit und Unbeweglichkeit des Moments einfängt. Der „Sommermittag“ lastet förmlich auf den „weißen Terrassen“ und „schlanken Marmortreppen“, wobei die Bilder von hitzebeladenem Marmor und blendenendem Licht die schwere, lähmende Wärme des Mittags vermitteln. Der „knirschende Kies“ unterstreicht das Statische und Festgefahrene dieser Szenerie.
In dieser friedlichen Stille schleppen sich „Rosendüfte“ heran, eine subtile, fast traumhafte Wahrnehmung von Gerüchen, die den Raum füllen. Der „müde Garten“ mit seinem „schlaffen Wind“, der in „roten Matten“ entschlief, scheint in einem Zustand der Trägheit und Ruhe eingefroren. Die „Götterbilder“, die geisterhaft zwischen den „Laubverstecken“ strahlen, wirken fast wie Überbleibsel einer vergangenen Ära, die im warmen Schatten der Hecken überdauern. Diese Bilder deuten auf eine Zeit der Ruhe und der Erhabenheit hin, die von den alten Göttern überdacht wird.
Die „Efeulauben“, die „flimmern“, und die „Schwäne“, die sich in den „grundlos grünen Weihern“ spiegeln, verstärken den Eindruck einer harmonischen, doch unaufgeregten Landschaft. Die Bewegung der Schwäne in der spiegelglatten Oberfläche des Wassers symbolisiert eine friedliche Unberührtheit. Doch die „fremden Sonnenfalter“, die zwischen den „Düfteschleiern“ fliegen, bringen einen Hauch von Exotik und Ungewöhnlichem in diese idyllische Szene, was der Stille eine flüchtige Schönheit und etwas Traumhaftes verleiht.
Stadler fängt in „Mittag“ die ganze Pracht eines Sommertages ein, der zugleich in seiner Schönheit eine gewisse Erstarrung enthält. Die Natur wirkt in ihrer Üppigkeit beinahe zu perfekt und starr, was den Eindruck verstärkt, dass der Moment ein vergehender Augenblick ist, der nicht mehr verändert werden kann. Es ist eine Momentaufnahme der stillen Pracht des Sommers, die dennoch eine gewisse Vergänglichkeit in sich trägt, was sich in der schillernden Bewegung der „Sonnenfalter“ widerspiegelt.
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Lizenz und Verwendung
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