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Als ich ein Kind war

Von

Als ich ein Kind war,
Was sah ich für Farben!
Himmlische Schimmer
Glänzten im Abendschein,
Glänzten im Morgenrot,
Und wann der Schlaf sanft
Einwiegte die Äuglein,
Gingen nicht Sonnen und Sterne
Dem träumenden Seelchen
Auf? Götterlichter,
Ach! der himmlischen Heimat
Selige Spiegel?

Als ich ein Kind war,
Was fand ich für Blumen!
Nicht bloß die blauen
Lieblichen Veilchen,
Nicht dich, rote Rose,
Blumenkönigin allein,
Nicht euch, ihr schneeweißen
Unschuldskinder, Lilien, allein –
Ach! noch zehntausend
Andere und andere
Schöner und duftender
Blühten da auch hier unten.
Wo sind sie blieben?

Als ich ein Kind war,
Was hatt‘ ich für Gespielen!
War nie allein
Einsam im grünen Wald,
Einsam im Felde.
Wer warst du, bunte Blume?
Wer du, kleines Bäumchen?
Und du, in den Zweigen
Singendes Vöglein?
Waret ihr nicht Engel
Freundliche Engel Gottes,
Mitfühlend, mitspielend?
Ach! du, die so schön war,
Junge lebendige Welt,
Wo gingst du hin?

Als ich ein Kind war,
Was hatt‘ ich für Träume!
Kann ich es nennen,
Was Namen nicht hat?
Kann ich euch zeigen,
Unvergängliche Bilder
Himmlischer Schönheit?
O meine Sehnsucht
Kennet euch noch und die nimmer
Rastende Liebe.

Himmlischer Vater,
Du, der uns alle
Seine Kinder nennet,
Dessen Geisteratems
Gebilde wir sind,
O mache mich wieder
Wie ein unschuldiges Kind!
Ach! nur ein Lallen,
Ein leises Stammeln
Jener Gefühle!
Jener Kinderspiele!
Nur einen Schimmer
Jener Gestalten!
Einen Ton jener Klänge!
O warum blieb ich
Nicht ewig ein Kind?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Als ich ein Kind war von Ernst Moritz Arndt

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Als ich ein Kind war“ von Ernst Moritz Arndt ist eine poetisch-melancholische Rückschau auf die Kindheit als eine Zeit reiner Wahrnehmung, tiefer Verbundenheit mit der Natur und unmittelbarer Nähe zum Göttlichen. Arndt beschreibt das kindliche Erleben als reich, farbenfroh und erfüllt von einer ursprünglichen Schönheit, die mit zunehmendem Alter verloren gegangen scheint. Die Wiederholung der Einleitung „Als ich ein Kind war“ gliedert das Gedicht in vier zentrale Themenbereiche: Wahrnehmung, Natur, Gemeinschaft und Traumwelt.

In der ersten Strophe erinnert sich das lyrische Ich an die Farben der Kindheit – an die „himmlischen Schimmer“ des Abend- und Morgenlichts, an ein Leuchten, das über die reine Sinneswahrnehmung hinausgeht. Diese Lichter erscheinen als Spiegel einer „himmlischen Heimat“, als Zeichen einer verlorenen Ursprünglichkeit. Die Kindheit wird damit nicht nur zeitlich, sondern auch metaphysisch überhöht – als Zustand göttlicher Nähe.

Auch die Natur, wie sie in der zweiten Strophe erscheint, ist mehr als nur Kulisse: Die Blumen, besonders Veilchen, Rosen und Lilien, stehen symbolisch für Reinheit, Liebe und Unschuld. Doch das Kind sah noch „zehntausend andere“, schönere, duftendere – eine Welt, die dem Erwachsenenblick heute verborgen ist. Die Frage „Wo sind sie blieben?“ markiert den Verlust dieser Fülle und Unmittelbarkeit, die der Kindheit eigen war.

Die dritte Strophe rückt die Beziehung zur Natur und deren Belebung durch die kindliche Fantasie in den Mittelpunkt. Bäume, Blumen, Vögel erscheinen als „Gespielen“, als wären sie mitfühlende, göttliche Wesen – „freundliche Engel Gottes“. Die Welt war beseelt, voller Leben und Teilhabe. Diese Vermenschlichung und spirituelle Durchdringung der Natur betont eine pantheistische Sichtweise, wie sie in der Romantik häufig anzutreffen ist.

In der vierten Strophe schließlich geht es um Träume und innere Bilder, die keiner Sprache bedürfen. Es sind „unvergängliche Bilder himmlischer Schönheit“, die sich tief in die Seele eingegraben haben. Die Sehnsucht des lyrischen Ichs richtet sich auf diese verlorene Traumwelt, die es nur noch durch „rastende Liebe“ zu erreichen sucht. Der kindliche Zustand wird als Ideal empfunden – nicht nur emotional, sondern auch spirituell.

Das Gedicht schließt mit einem Gebet: Der „himmlische Vater“ möge das lyrische Ich wieder zum unschuldigen Kind machen. In dieser letzten Bitte kulminiert der gesamte Text – nicht nur als Wunsch nach Rückkehr in die Kindheit, sondern nach einer Rückverbindung mit dem Göttlichen, dem Ursprung. „Warum blieb ich nicht ewig ein Kind?“ – diese letzte Frage bringt die tiefe, existenzielle Sehnsucht nach Reinheit, Unmittelbarkeit und Heilsein auf den Punkt. Arndt gelingt damit ein intensives, gefühlstiefes Bild der Kindheit als verlorenes Paradies.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.