Die Trennung
Als wir uns trennten, fingst du an zu weinen.
Du süßes Mädchen! Tränen und Geleit …
Ich schwenkte aus dem Zuge langsam meinen
Strohhut nach dir, die blieb, in rotem Kleid.
Es wird schon dunkel. Dörfer, Wälder, Reise …
Schmerzlich und klanglos ging die Zeit vorbei.
Liebte ich dich? Du warst mir einerlei.
Beim Kaffeetrinken weinte ich noch leise.
Viel Stunden kann noch unser Leben währen
Mit Krampf, Musike, mancher Einsamkeit.
Meist aber füllen einen die Miseren
Und Späße aus, und so vergeht die Zeit.
Grau ist der Abend in der Eisenbahn.
Ich gehe nach dem Speisewagen, essen,
Ich habe Angst: wir werden uns vergessen,
Erblindet, eh wir je uns wiedersahn.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Trennung“ von Ernst Blass beschreibt die schmerzhafte Erfahrung einer Trennung, die von widersprüchlichen Gefühlen und der Reflexion über Vergänglichkeit begleitet wird. Zu Beginn des Gedichts wird das Bild der Trennung durch die Darstellung der weinenden Frau und des zurückschwenkenden Strohhuts eingeführt, was eine klare Trennung zwischen den beiden Personen symbolisiert. Der „rote Kleid“ der Frau hebt ihre Präsenz hervor, während der Sprecher mit seinem langsamen Abschied bereits eine gewisse emotionale Distanz zu zeigen scheint.
In der zweiten Strophe scheint der Sprecher der Trennung mit einer gewissen Kühle zu begegnen. Die Zeit wird als „schmerzlich und klanglos“ beschrieben, was auf die schleichende und fast lautlose Verarbeitung der Gefühle hinweist. Trotz des schmerzhaften Moments der Trennung wird die Frage aufgeworfen, ob der Sprecher die Frau wirklich geliebt hat. Der Gedanke „Liebte ich dich? Du warst mir einerlei“ deutet auf eine Distanzierung hin, die möglicherweise eine Schutzmaßnahme gegen den Schmerz der Trennung darstellt. Sogar beim „Kaffeetrinken“, einem scheinbar banalen Akt, weint der Sprecher „noch leise“, was darauf hindeutet, dass die Trennung tiefergehende emotionale Auswirkungen hat.
Die dritte Strophe lenkt den Blick auf die Zeit nach der Trennung. Blass thematisiert die Vergänglichkeit des Lebens und die Zerstreuung durch „Krampf, Musik, mancher Einsamkeit“. Diese Dinge füllen die Zeit, doch gleichzeitig bleibt ein Gefühl der Leere und Misere bestehen. Der Satz „So vergeht die Zeit“ bringt die flüchtige Natur der Tage und das Gefühl der Sinnentleertheit im Alltag zum Ausdruck, während das Leben weitergeht, ohne dass die tiefere Traurigkeit der Trennung wirklich verschwinden kann.
Im letzten Teil des Gedichts nimmt der Sprecher die Reise im „grauen Abend“ der Eisenbahn wieder auf. Die Eisenbahnfahrt symbolisiert eine fortschreitende Bewegung in die Zukunft, doch der Sprecher ist von der Angst geprägt, dass die Erinnerung an die Frau verblassen könnte – er fürchtet, dass sie sich vergessen werden. Das Bild des „Erblindens“ verstärkt diese Angst der Verdrängung, als ob die Beziehung und die Erinnerung aneinander mit der Zeit ausgelöscht werden würden, bevor ein Wiedersehen stattfinden kann.
Insgesamt vermittelt das Gedicht die innere Zerrissenheit zwischen der schmerzhaften Erfahrung der Trennung und der scheinbar kühlen, fast gleichgültigen Reaktion des Sprechers. Es geht um die Unausweichlichkeit des Vergessens und die Vergänglichkeit von Beziehungen, die in der Zeit verloren gehen. Trotz der Bemühung, sich zu distanzieren, bleibt ein Hauch von Melancholie und Angst vor dem endgültigen Verlust.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.