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Kriegslied

Von

Sengen, brennen, schießen, stechen,
Schädel spalten, Rippen brechen,
spionieren, requirieren,
patrouillieren, exerzieren,
fluchen, bluten, hungern, frieren…
So lebt der edle Kriegerstand,
die Flinte in der linken Hand,
das Messer in der rechten Hand –
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Aus dem Bett von Lehm und Jauche
zur Attacke auf dem Bauche!
Trommelfeuer – Handgranaten –
Wunden – Leichen – Heldentaten –
bravo, tapfere Soldaten!
So lebt der edle Kriegerstand,
das Eisenkreuz am Preußenband,
die Tapferkeit am Bayernband,
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Stillgestanden! Hoch die Beine!
Augen gradeaus, ihr Schweine!
Visitiert und schlecht befunden.
Keinen Urlaub. Angebunden.
Strafdienst extra sieben Stunden.
So lebt der edle Kriegerstand.
Jawohl, Herr Oberleutenant!
Und zu Befehl, Herr Leutenant!
Mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Vorwärts mit Tabak und Kümmel!
Bajonette, Schlachtgetümmel.
Vorwärts! Sterben oder Siegen
Deutscher kennt kein Unterliegen.
Knochen splittern, Fetzen fliegen.
So lebt der edle Kriegerstand.
Der Schweiß tropft in den Grabenrand,
das Blut tropft in den Straßenrand,
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Angeschossen – hochgeschmissen –
Bauch und Därme aufgerissen.
Rote Häuser – blauer Äther –
Teufel! Alle heiligen Väter!…
Mutter! Mutter!! Sanitäter!!!
So stirbt der edle Kriegerstand,
in Stiefel, Maul und Ohren Sand
und auf das Grab drei Schippen Sand –
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Kriegslied von Erich Mühsam

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kriegslied“ von Erich Mühsam ist eine bitter-ironische Abrechnung mit dem Militarismus und der Kriegsverherrlichung. In schneidendem Ton entlarvt Mühsam die heroische Rhetorik, mit der Krieg und Soldatentum oft verklärt werden, als zynische Fassade für Gewalt, Elend und menschliches Leid. Das Gedicht nutzt dabei eine durchgehend sarkastische Stimme, die dem Pathos der Kriegspropaganda den realistischen Schrecken gegenüberstellt.

Formal ist der Text in fünf gleich strukturierte Strophen gegliedert, die jeweils mit der zynischen Formel enden: „Mit Gott, mit Gott, mit Gott, / mit Gott für König und Vaterland.“ Diese wiederholte Wendung parodiert patriotische Schlagworte und macht deutlich, wie religiöse und nationale Ideale instrumentalisiert werden, um die Grausamkeit des Krieges zu legitimieren. Die Dissonanz zwischen den beschönigenden Phrasen und der brutalen Realität schafft eine beklemmende Wirkung.

Die ersten beiden Strophen schildern den Alltag des „edlen Kriegerstands“ in drastischen Bildern: Zerstörung, Schmerz, Dreck, Angst. Der militärische Drill („patrouillieren, exerzieren“) steht neben körperlichem Leid („bluten, hungern, frieren“), Heldentaten werden von Leichen begleitet. Mühsam zeigt damit, wie das Leben des Soldaten romantisiert wird, obwohl es in Wahrheit von Entmenschlichung geprägt ist.

Die dritte Strophe widmet sich dem militärischen Alltag abseits des Schlachtfelds – dem Gehorsam, der Erniedrigung, dem stumpfen Befehlsempfang. Der Kommandoton („Stillgestanden! Hoch die Beine!“) offenbart den Verlust von Individualität und Würde im Dienst. Selbst einfache Bedürfnisse wie Urlaub werden verweigert – das Soldatendasein wird zur Strafe.

Mit der vierten und besonders der fünften Strophe steigert sich das Gedicht ins Grauen. Die Schlacht wird zur Hölle, der Tod zum grotesken Höhepunkt: „Bauch und Därme aufgerissen“ und „Mutter! Mutter!! Sanitäter!!!“ – diese verzweifelten Ausrufe zerstören jedes heroische Bild. Der letzte Vers bringt die Ironie auf den Höhepunkt: Drei Schippen Sand auf das Grab – und noch immer das „Mit Gott für König und Vaterland“.

Mühsams „Kriegslied“ ist ein pazifistisches Gedicht von großer Wucht. Es klagt nicht nur das System Krieg an, sondern auch die Mechanismen von Gehorsam, Ideologie und Verblendung, die Menschen zu Opfern und Tätern zugleich machen. In einer Zeit, in der nationale Begeisterung oft über Leid hinwegtäuschte, ist dieses Gedicht ein radikaler Ruf zur Ernüchterung – und ein Plädoyer gegen das Vergessen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.