Gefängnis
Im Süden rauscht das Wasser Seide,
Wir wohnen in den schmalen Zellen,
Durchs Gitter dringt in kleinen Wellen
Die Sehnsucht nach der fernen Heide.
Mein Taschentuch hat grünen Saum,
Ein gelbes Feld ist in der Mitte
Und auf und ab sechs kleine Schritte…
Mein Taschentuch, mein grüner Baum…
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Gefängnis“ von Emmy Hennings thematisiert die beklemmende Erfahrung der Gefangenschaft und die daraus entstehende Sehnsucht nach Freiheit und Natur. Die erste Strophe kontrastiert die Enge der „schmalen Zellen“ mit der Weite und Leichtigkeit der Außenwelt, die nur in Bruchstücken – in Form von „kleinen Wellen“ der Sehnsucht – durchs Gefängnisgitter dringt. Das Bild der „fernen Heide“ steht hier als Symbol für Freiheit, Natur und Ungebundenheit.
Das Taschentuch in der zweiten Strophe wird zu einem Ersatz für die verlorene Natur und zur Projektionsfläche der Gefangenen. Der „grüne Saum“ und das „gelbe Feld“ erinnern in ihrer Farbigkeit an eine Landschaft, während die „sechs kleinen Schritte“ die Monotonie und Enge des Gefängnisalltags widerspiegeln. Das Taschentuch wird so zu einem „grünen Baum“, zu einem imaginären Ort der Zuflucht, der in der tristen Realität Halt gibt.
Hennings verwendet in diesem Gedicht eine schlichte, reduzierte Sprache, die die Stimmung der Einsamkeit und der inneren Flucht in symbolische Bilder intensiviert. Die Reduktion auf kleine Details – das Tuch, das Gitter, die wenigen Schritte – unterstreicht die Beklemmung und die Isolation, aber auch die Kraft der Imagination im Angesicht der Freiheitseinschränkung.
Insgesamt ist „Gefängnis“ eine leise, aber eindrucksvolle Reflexion über das Ausgeliefertsein in der Gefangenschaft und den Trost, den selbst kleinste Gegenstände in solchen Momenten spenden können. Das Gedicht verweist auch auf Hennings’ eigene Erfahrungen mit Haft und ihre Fähigkeit, selbst in der Enge und Hoffnungslosigkeit poetische Bilder zu finden.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.