Ein Traum
Wir liegen in einem tiefen See
Und wissen nichts von Leid und Weh.
Wir halten uns umfangen
Und Wasserrosen rings umher.
Wir sterben und wünschen und wollen nichts mehr.
Wir haben kein Verlangen.
Geliebter, etwas fehlt mir doch,
Einen Wunsch, den hab ich noch:
Die Sehnsucht nach der Sehnsucht
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ein Traum“ von Emmy Hennings beschreibt eine traumhafte, fast jenseitige Szene, in der das lyrische Ich mit einer geliebten Person in einem tiefen See ruht. Die Atmosphäre ist ruhig und entrückt, geprägt von einem Gefühl der Loslösung von der Welt und von allem Irdischen – es gibt „nichts von Leid und Weh“, kein Verlangen, keinen Wunsch. Die Wasserrosen, die das Paar umgeben, verstärken die friedvolle, aber auch leicht unheimliche Stimmung des Todes oder der völligen Auflösung ins Traumhafte.
Das zentrale Thema des Gedichts ist das Ausgeliefertsein an eine friedliche, fast erstarrte Harmonie. Die Liebe wird hier als Zustand völliger Aufhebung von Bedürfnis und Schmerz dargestellt. Doch trotz dieser scheinbaren Erfüllung und Ruhe schleicht sich am Ende ein Paradox ein: Das lyrische Ich verspürt „die Sehnsucht nach der Sehnsucht“. Dieser letzte Vers gibt dem Gedicht eine überraschende Wendung und deutet darauf hin, dass selbst im Zustand der Vollkommenheit etwas fehlt – nämlich das lebendige Gefühl des Begehrens, der Unruhe, das den Menschen im Leben antreibt.
Sprachlich ist das Gedicht schlicht und fließend, wie der „tiefe See“, in dem sich das lyrische Ich befindet. Die kurzen, fast mantraartig wiederholten Aussagen („Wir haben kein Verlangen“) unterstreichen die beruhigte, meditative Atmosphäre. Gleichzeitig wirkt der Bruch am Ende – der Wunsch nach der Sehnsucht – wie ein Aufwachen aus dem Traum, ein Anklang an die Unausweichlichkeit menschlicher Gefühle, auch im Zustand scheinbarer Erlösung.
Insgesamt thematisiert „Ein Traum“ das Spannungsfeld zwischen Auflösung, Todessehnsucht und dem tief verwurzelten Bedürfnis nach Emotion und Lebendigkeit. Hennings schafft hier ein poetisches Bild für das ambivalente Verlangen nach Ruhe und gleichzeitig nach dem existenziellen Gefühl der Sehnsucht selbst.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.