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König Dichter

Von

Der Dichter steht mit dem Zauberstab
Auf wolkigem Bergesthrone
Und schaut auf Land und Meer hinab
Und blickt in jede Zone.

Für seine Lieder nah und fern
Sucht er den Schmuck, den besten;
Mit ihren Schätzen dienen ihm gern
Der Osten und der Westen.

An goldnen Quellen läßt er kühn
Arabiens Palmen rauschen,
Läßt unter duft’gem Lindengrün
Die deutschen Veilchen lauschen.

Er winkt, da öffnet die Ros‘ in Glut
Des Kelches Heiligtume,
Und schimmernd grüßt aus blauer Flut
Den Mond die Lotosblume.

Er steigt hinab in den schwarzen Schacht,
Taucht in des Ozeans Wellen,
Und sucht der roten Rubinen Pracht,
Und bricht die Perlen, die hellen.

Er gibt dem Schwane Wort und Klang,
Er heißt die Nachtigall flöten,
Und prächtig weben in seinem Gesang
Sich Morgen- und Abendröten.

Er läßt das weite unendliche Meer
In seine Lieder wogen,
Ja, Sonne, Mond und Sternenheer
Ruft er vom Himmelsbogen.

Und alles fügt sich ihm sogleich,
Will ihn als König grüßen;
Er aber legt sein ganzes Reich
Dem schönsten Kind zu Füßen.

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Gedicht: König Dichter von Emmanuel Geibel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „König Dichter“ von Emmanuel Geibel feiert die schöpferische Macht des Dichters, der mit seinem „Zauberstab“ über die Welt gebietet und die Schönheit der Natur in seine Lieder einfließen lässt. Er steht metaphorisch auf einem „Bergesthrone“, was ihn als erhabene, beinahe göttliche Gestalt zeichnet. Sein Blick umfasst die gesamte Welt, und er schöpft aus den Reichtümern aller Kulturen und Landschaften, um daraus Kunst zu formen.

Die Natur erscheint als unerschöpflicher Quell der Inspiration: Arabische Palmen, deutsche Veilchen, die Lotosblume und das Meer stehen sinnbildlich für die Vielfalt der schöpferischen Einflüsse. Geibel beschreibt den Dichter als jemanden, der selbst den Elementen und Wesen der Welt Stimme verleiht – er lässt Schwäne singen, Nachtigallen flöten und selbst das Meer in seinen Liedern „wogen“. Diese bildreiche Sprache unterstreicht die Allmacht des dichterischen Schaffens, das keine Grenzen kennt.

Doch trotz seiner künstlerischen Macht offenbart der Dichter letztlich eine ganz andere Priorität: Er legt all seine Schätze „dem schönsten Kind zu Füßen“. Dieser überraschende Schluss zeigt, dass sein eigentliches Ziel nicht Ruhm oder Herrschaft ist, sondern eine tiefere, vielleicht sogar persönliche Hingabe – sei es an eine geliebte Person oder an die Poesie selbst. So vermittelt das Gedicht einerseits ein idealisiertes Bild des Dichters als Herrscher über die Sprache und die Schönheit der Welt, andererseits aber auch eine menschliche, fast demütige Geste der Liebe und Hingabe.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.