Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

An Klara Kugler

Von

Wie lieblich fließt durch grüne Tannen
Auf Böhmens Höhn der Sonne Strahl!
Durchs Dickicht rauscht das Reh von dannen,
Durch Felsen blinkt der Quell ins Tal,
Und fern zu blauen Bergeswarten
Verliert sich träumend Aug‘ und Sinn,
Du aber wandelst durch den Garten
In stiller Anmut lächelnd hin.

Und wie dein Blick mit leiser Frage
Sich freundlich zu dem meinen neigt,
Da muß ich denken jener Tage,
Die mir zuerst dein Herz gezeigt;
Da ich, ein ungestümer Knabe,
Von dunklem Jugenddrang bewegt
Der ersten Lieder frühe Gabe
Schamrot in deine Hand gelegt.

Ach, damals klang’s mir leise wider,
Was ich voll Sehnsucht vorgefühlt,
Und flatternd irrten meine Lieder,
Wie wenn der Wind in Saiten wühlt.
Noch schwankte vor dem jungen Herzen
Die Welt mir wie ein goldner Traum;
Allein den Abgrund aller Schmerzen,
Der Freuden Gipfel ahnt‘ ich kaum.

Doch anders ward es. Leid und Wonne,
Nun hab‘ ich sie zum Grund erprobt;
Mich hat versengt des Südens Sonne,
Mich hat des Nordens Sturm umtobt.
Ich trank der Liebe vollsten Sprudel,
Ich weint‘ um die verlorne Lust;
Doch in des Lebens wildem Strudel
Ward ich des Zieles mir bewußt.

Wenn draußen der verworrne Reigen
Des Tages laut und lauter scholl,
Lernt‘ ich zum Born hinabzusteigen,
Aus dem mir ew’ge Klarheit quoll.
Mir spielte wie mit kühler Schwinge
Ums Haupt der Odem der Natur,
Und einsam den Gesang der Dinge
Vernahm mein Ohr aus Wald und Flur.

Da ward es hell mir im Gemüte,
Ich sah durch eines Geistes Wehn
Der Zeiten Schritt, der Blumen Blüte
In heil’ger Ordnung wechselnd gehn;
Ich sah den Tod das Sein gebären,
Den Einklang hört‘ ich durch im Zwist,
Und ahnend lernt‘ ich tief verehren
Das Wunder dessen, was da ist.

Was so im Busen ich getragen,
Was ich gekämpft, verfehlt, ersiegt,
Das laß dir nun dies Büchlein sagen,
Drin meine Seele vor dir liegt.
So nimm es hin! Und wuchert munter
Manch buntes Unkraut auch noch heut:
Schon sind die Erstlingshalme drunter
Der Ernte, die mein Leben beut.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: An Klara Kugler von Emmanuel Geibel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An Klara Kugler“ von Emmanuel Geibel ist eine poetische Rückschau auf das eigene Leben, die mit der Erinnerung an eine frühe Liebe verbunden wird. Es beginnt mit einer idyllischen Naturszene, die den Blick über Böhmens Landschaft schweifen lässt. Die Natur erscheint als Raum der Harmonie und Schönheit, in den sich auch die angesprochene Klara sanft einfügt. Ihr freundlicher Blick ruft beim lyrischen Ich Erinnerungen an die Jugend wach – an die Zeit, in der es seine ersten Gedichte voller Scham und Sehnsucht überreichte.

In den folgenden Strophen reflektiert das lyrische Ich den Wandel, den es seit diesen frühen Tagen erlebt hat. Die Jugend war geprägt von Träumen und einem unklaren Gefühl für die Höhen und Tiefen des Lebens. Erst durch persönliche Erfahrungen – Liebe, Verlust, Schmerz und Freude – erlangte es ein tieferes Verständnis. Die Gegensätze von „Südens Sonne“ und „Nordens Sturm“ stehen symbolisch für diese existenziellen Prüfungen. Doch anstatt daran zu zerbrechen, führte die Auseinandersetzung mit dem Leben zu einer inneren Reifung und Klarheit.

Besonders bedeutend ist der Moment der Erkenntnis, als das lyrische Ich in der Natur und der Weltordnung einen tieferen Sinn erkennt. Der Blick auf das Leben wird philosophischer: Tod und Werden gehören zusammen, Harmonie entsteht aus dem scheinbaren Widerspruch. In der abschließenden Strophe überreicht das Ich Klara ein Buch – vermutlich eine Sammlung seiner Gedichte –, das all seine Erfahrungen und Erkenntnisse enthält. Dabei erkennt es an, dass noch nicht alles perfekt ist („Manch buntes Unkraut“), doch zugleich reifen bereits die Früchte des Lebens. Das Gedicht verbindet damit persönliche Erinnerungen mit einer universellen Reflexion über das Erwachsenwerden und das Streben nach geistiger Vollendung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.