Selbstmord
Wilde Fratzen schneidet der Mond in den Sumpf.
Es kreisen alle Welten dumpf;
hätt ich erst diese überstanden!
Mein Herz, ein Skarabäenstein;
blüht bunter Mai aus meinem Gebein
und Meere rauschen durch Guirlanden.
Ich wollt, ich wär eine Katze geworden;
der Kater schleicht sie lustzumorden
im vollmondblutenden Abendschein.
Wie die Nacht voll grausamer Sehnsucht keimt –
sie hat in mir oft zart geträumt
und ist entstellt zur Fratze.
Der Tod selbst fürchtet sich zu zwein
und kriecht in seinen Erdenschrein,
– aber ich pack ihn mit meiner Tatze.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Selbstmord“ von Else Lasker-Schüler ist ein düsteres und intensives Werk, das sich mit Themen wie Verzweiflung, Tod und innerer Zerrissenheit auseinandersetzt. In den ersten Zeilen, in denen der Mond „wilde Fratzen in den Sumpf schneidet“, wird eine düstere, unheimliche Atmosphäre erzeugt. Der Mond, ein klassisches Symbol der Nacht und des Verborgenen, wirkt hier wie ein böser Akteur, der das Unheimliche und Unvorhersehbare in der Welt des Gedichts hervorruft. Die „dunklen Welten“, die „dumpf“ umherkreisen, verstärken das Gefühl der Verwirrung und des inneren Chaos der Sprecherin.
Das Bild des „Herzens als Skarabäenstein“ und des „bunten Mays, der aus dem Gebein blüht“, stellt einen faszinierenden Kontrast dar. Der Skarabäenstein, ein Symbol der Wiedergeburt und Unsterblichkeit in der ägyptischen Mythologie, steht in starkem Gegensatz zu der düsteren, zerrissenen Stimmung des Gedichts. Der „bunte Mai“ verweist auf Leben und Fruchtbarkeit, jedoch kommt er aus den Knochen, was eine seltsame Mischung aus Leben und Tod suggeriert – ein Zeichen dafür, dass in der Dunkelheit auch Hoffnung und neue Möglichkeiten sprießen könnten. Dennoch bleibt die Szene von einem unerfüllten, ungestillten Verlangen durchzogen, was durch das „Rauschen der Meere durch Guirlanden“ verstärkt wird.
Die Vorstellung, „eine Katze“ zu sein, die „lustzumorden“ in einem „vollmondblutenden Abendschein“ schleicht, ist eine weitere verstörende Metapher für das Gefühl der Ohnmacht und des verzweifelten Wunsches, sich von der Welt zu befreien. Die Katze symbolisiert in ihrer Jagd nach dem Tod sowohl eine gewisse Freiheit als auch eine mörderische Gewalt. Der Mond, der in seiner Bluteigenschaft über der Szene hängt, ist ein weiteres Bild für die dunklen, übermächtigen Kräfte, die die Sprecherin zu erdrücken drohen. Es ist ein starkes Bild der Zerrissenheit, das zwischen dem Wunsch nach Erlösung und dem gleichzeitigen Verlangen nach Vernichtung schwankt.
In der letzten Strophe, in der die Sprecherin den Tod mit ihrer „Tatze“ packt, wird die Figur des Todes selbst als eine erschreckende Entität dargestellt, die sich vor der Macht der eigenen Tatze fürchtet. Die Sprecherin zeigt hier ihre letzte Entscheidungskraft, die bereit ist, den Tod zu konfrontieren. Diese „Tatze“, die zugleich eine Metapher für die Selbstermächtigung und das Zornige ist, tritt in der Auseinandersetzung mit dem Tod als Symbol der Selbstbestimmung auf – auch in der Dunkelheit und Verzweiflung. Das Gedicht endet mit der Vorstellung, dass die Sprecherin, trotz der tiefen inneren Qual und des Zwiespalts, die Macht hat, sich gegen den Tod zu erheben, indem sie diesen in einem letzten Akt herausfordert. Es ist ein Aufbegehren gegen die Kräfte der Verzweiflung, auch wenn dieses Aufbegehren durch den Tod selbst bedroht wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.