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Mein Volk

Von

Der Fels wird morsch,
dem ich entspringe
und meine Gotteslieder singe…
Jäh stürz ich vom Weg
und riesele ganz in mir
fernab, allein über Klagegestein
dem Meer zu.

Hab mich so abgeströmt
von meines Blutes
Mostvergorenheit.
Und immer, immer noch der Widerhall
in mir,
wenn schauerlich gen Ost
das morsche Felsgebein,
mein Volk,
zu Gott schreit.

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Gedicht: Mein Volk von Else Lasker-Schüler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mein Volk“ von Else Lasker-Schüler ist eine eindrucksvolle Reflexion über Identität, Zerrissenheit und den Schmerz eines Volkes, das auf der Suche nach Erlösung ist. Zu Beginn beschreibt die Dichterin einen Fels, der „morsch“ wird – ein Symbol für die Schwäche und den Verfall der Grundlage, von der sie „entspringt“. Der Fels könnte für das eigene Erbe, die Tradition oder das Volk stehen, das in seiner Geschichte und in seiner Existenz erschüttert wird. Die „Gotteslieder“, die sie singt, verweben das Religiöse mit dem Nationalen und stellen einen Verweis auf die Verbindung zwischen spirituellen und kulturellen Ursprüngen dar. Doch der Fels, von dem sie stammt, ist brüchig, was auf die fragilen Wurzeln ihres Volkes hinweist.

Das Bild des „Stürzens vom Weg“ und des „Rieselns ganz in mir“ spricht von einer inneren Zerrissenheit und dem Verlust des Ziels. Die Dichterin fühlt sich entfremdet von ihrem ursprünglichen Pfad und bewegt sich fortan „fernab“ und „allein“. Dies kann als ein Symbol für die Entfremdung oder den Verlust der Verbindung zu ihrer Heimat, ihrer Kultur oder ihrem Volk gedeutet werden. Das „Klagegestein“ und das Bild des „Meer“ deuten auf eine Reise in die Dunkelheit und die Weite des Unbekannten hin – eine Reise, die von Trauer und Verlust begleitet wird.

Die Zeile „Hab mich so abgeströmt / von meines Blutes / Mostvergorenheit“ vermittelt den Eindruck eines Verfalls oder einer Entfremdung von der eigenen Herkunft. Der Ausdruck „Mostvergorenheit“ lässt auf eine innere Zersetzung schließen, bei der der Ursprung des eigenen Lebens – das „Blut“ – in etwas Bitteres und Verdorbenes verwandelt wird. Das Bild des Abströmens zeigt die Entfremdung von diesem vergorenen Erbe, das als Last empfunden wird. Trotz dieser Entfremdung bleibt der „Widerhall“ in ihr, als bleibender Schmerz, der nicht vergessen werden kann.

Im letzten Teil des Gedichts wird das Volk als das „morsche Felsgebein“ beschrieben, das „schauerlich gen Ost / zu Gott schreit“. Dies könnte ein Bild für die kollektive Not und das Streben nach Erlösung des Volkes darstellen. Die Richtung „gen Ost“ könnte auf die geografische und spirituelle Ausrichtung hinweisen, die oft mit dem Aufbruch, der Hoffnung oder dem Neuanfang verbunden wird. Das Volk schreit nach Gott, was auf einen tiefen Glauben und eine verzweifelte Suche nach Heilung und Rettung hinweist. Doch der „morsche Fels“ und die „Gotteslieder“ zeigen, dass diese Hoffnung in einem Zustand des Verfalls und der Erschöpfung existiert, was das Bild von Schmerz und Sehnsucht nach Erlösung verstärkt.

Zusammengefasst beschreibt das Gedicht einen inneren und äußeren Konflikt, in dem sich die Dichterin mit den Wurzeln ihres Volkes auseinandersetzt. Es ist eine Suche nach Identität und Erlösung in einer Welt des Verfalls und der Entfremdung, in der die Verbindung zum Ursprung und zum Glauben immer mehr zu bröckeln scheint. Doch trotz des Verfalls bleibt der Ruf nach Gott als letzte Hoffnung und als Ausdruck eines ungebrochenen Glaubens an Erlösung.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.