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Mein stilles Lied

Von

Mein Herz ist eine traurige Zeit,
die tonlos tickt.

Meine Mutter hatte goldene Flügel,
die keine Welt fanden.

Horcht, mich sucht meine Mutter,
Lichte sind ihre Finger und ihre Füße wandernde Träume.

Und süße Wetter mit blauen Wehen
wärmen meine Schlummer

Immer in den Nächten,
deren Tage meiner Mutter Krone tragen.

Und ich trinke aus dem Monde stillen Wein,
wenn die Nacht einsam kommt.

Meine Lieder trugen des Sommers Bläue
und kehrten düster heim.

– Ihr verhöhntet meine Lippe
und redet mit ihr. –

Doch ich griff nach euren Händen,
denn meine Liebe ist ein Kind und wollte spielen.

Und ich artete mich nach euch,
weil ich mich nach dem Menschen sehnte.

Arm bin ich geworden
an eurer bettelnden Wohltat.

Und das Meer wird es wehklagen
Gott.

Ich bin der Hieroglyph,
der unter der Schöpfung steht

Und mein Auge
ist der Gipfel der Zeit;

sein Leuchten küsst Gottes Saum.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Mein stilles Lied von Else Lasker-Schüler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mein stilles Lied“ von Else Lasker-Schüler ist eine introspektive und zutiefst symbolische Reflexion über das menschliche Leben, die Mutterliebe, die Sehnsucht nach Verbindung und den Schmerz des Verlusts. Zu Beginn wird das „Herz“ der Sprecherin als „eine traurige Zeit“ beschrieben, die „tonlos tickt“, was den Eindruck einer Leere oder eines inneren Stillstands vermittelt. Das Herz ist nicht mehr in der Lage, die lebendige Musik der Zeit widerzuspiegeln, sondern ist in eine melancholische, fast unhörbare Traurigkeit versunken. Es symbolisiert das Gefühl von Entfremdung und die Abwesenheit von Freude oder Erfüllung.

Die Darstellung der Mutter als eine Figur mit „goldenen Flügeln, die keine Welt fanden“, ist von tiefer Symbolik durchzogen. Die goldenen Flügel stehen für etwas Göttliches, Unschuldiges und Schönes, doch sie sind „ohne Welt“, was darauf hindeutet, dass diese himmlische Güte keinen Platz in der irdischen Realität gefunden hat. Die Mutter als himmlische Figur verweist auf den Verlust oder die unerreichbare Sehnsucht nach einer unvollendeten Verbindung – vielleicht zwischen dem Kind und der Mutter oder zwischen dem Menschen und einer höheren, unerreichbaren Liebe. Der Ruf der Mutter, die mit „lichten Fingern“ und „wandernden Träumen“ nach der Sprecherin sucht, verstärkt die Vorstellung von einer Mutterfigur, die in einer anderen Dimension lebt und doch mit einer unendlichen Zärtlichkeit und Sehnsucht nach Nähe strebt.

Das Bild der „süßen Wetter mit blauen Wehen“ und der „Schlummer“ verweist auf die Vorstellung von Geborgenheit und Ruhe, die aus der Verbindung zur Mutter kommen könnte. Die „Nacht“, die als „einsam“ beschrieben wird, ist eine Zeit des Rückzugs und des Alleinseins, in der die Sprecherin auf den „stillen Wein des Mondes“ trinkt. Der Mond als Symbol für das Unbewusste und das Mystische weist auf eine Art spirituelle Ekstase oder Ruhe hin, die sie in der Einsamkeit findet. Die Lieder, die „des Sommers Bläue trugen“, kehren jedoch „düster heim“, was den Übergang von Freude und Hoffnung zu Trauer und Ernüchterung darstellt.

Die Darstellung der Sprecherin als „Hieroglyph“ unter der Schöpfung ist eine kraftvolle Metapher für das Gefühl der Entfremdung und der Unverständlichkeit des eigenen Seins. Die Hieroglyphen sind Zeichen, die in ihrer Bedeutung verschlüsselt sind und nur schwer entschlüsselt werden können, was auf die Schwierigkeit hinweist, die eigene Existenz oder den eigenen Platz in der Welt zu begreifen. Der „Gipfel der Zeit“ wird durch das Auge dargestellt, das die Erhabenheit und den Höhepunkt der menschlichen Erfahrung symbolisiert. Das „Leuchten“ des Auges, das „Gottes Saum küsst“, verweist auf den Versuch, sich mit dem Göttlichen zu verbinden und die Grenzen des Irdischen zu überschreiten. Es ist ein Moment der spirituellen Erhebung und der Annäherung an das Unendliche, auch wenn diese Verbindung nur flüchtig und unerreichbar bleibt.

Insgesamt ist das Gedicht eine poetische Reise durch die Themen von Verlust, Sehnsucht, Liebe und der Suche nach Erleuchtung. Die Sprecherin befindet sich zwischen der irdischen Welt und einer höheren, unerreichbaren Ebene des Seins, wo sie zwischen der Erinnerung an ihre Mutter, den Verlust der Geborgenheit und dem Streben nach einer höheren Wahrheit hin und her pendelt. Die Unverständlichkeit und die Verborgeneheit des Lebens werden durch die Symbolik von „Hieroglyphen“ und dem „Gipfel der Zeit“ dargestellt, wobei das Gedicht einen Moment der stillen, mystischen Einkehr und des spirituellen Verstehens bietet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.